Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
Vom Netzwerk:
sollte es ’ne verdammt gute Geschichte sein.«
    Also haben wir alles erzählt, mit Morken und der Schlägerei und dem Jungstammführer und dass wir nicht mehr zur Verpflichtung der Jugend sind und überhaupt alles.
    Danach ist es erst mal ruhig gewesen. Dann ist einer von ihnen, so ein langer Typ, einen Kopf größer als die anderen, zu dem Düsteren hin und hat sich neben ihn gehockt.
    »Was hältst du davon, Flint?«, hat er gesagt.
    Der Düstere hat mir in die Augen gesehen. Ich hab versucht, seinen Blick auszuhalten, hab’s aber nicht geschafft. Irgendwann musste ich weggucken.
    »Bin mir nicht sicher«, hat er gesagt. »Könnte stimmen. Das mit der Prügelei hab ich schon irgendwo gehört. Könnte aber auch erfunden sein.«
    Tom und ich, wir haben dagesessen wie zwei Angeklagte, die auf ihr Urteil warten. Aber dann war da auf einmal ’ne neue Stimme, heller als die anderen.
    »Ich kenn die beiden«, hat sie gesagt. »Die sind aus der Klarastraße.«
    Wir haben uns umgedreht. Ein Mädchen! Bis dahin war uns gar nicht aufgefallen, dass Mädchen dabei sind. Vielleicht war sie auch gerade erst dazugekommen. Jedenfalls war das ziemlich ungewohnt für uns. In der HJ haben wir mit denen vom BDM ja
nie viel zu tun gehabt, und in der Schule waren wir auch immer unter uns. Ich glaub, wir haben sie mit offenen Mündern angestarrt.
    »Klarastraße?«, hat der Düstere gesagt. »Edle Herkunft. Immer schön von Kriechbaum verprügelt worden, was?«
    Wir haben gesagt, ja, jede Woche, und dann gab’s Gelächter. Die Spannung war weg, und ich hab gedacht: Na also! Da ist sogar der alte Kriechbaum mal für was gut.
    »Kennst du sie näher?«, hat der Düstere das Mädchen gefragt.
    »Nein. Aber ich glaub, die sind in Ordnung.«
    »Ach, Tilly! Du bist einfach zu gutmütig. Wenn’s nach dir ging, wär die halbe HJ in Ordnung.«
    Aber irgendwie muss er ihr doch geglaubt haben, denn gleich darauf hat er zu uns gesagt: »Mal angenommen, ihr seid wirklich keine Spione. Was wollt ihr dann hier?«
    Wir haben uns angesehen. Tom hat nichts gesagt. Diesmal war ich an der Reihe. »Bei euch mitmachen wollen wir«, hab ich gesagt. Ohne groß drüber nachzudenken. Es ist einfach aus mir rausgeplatzt.
    Der Düstere hat überlegt. Dann wollte er alles Mögliche wissen. Wie wir heißen, wer unsere Eltern sind, wo wir arbeiten und so. Wir haben alles beantwortet, so gut wir konnten. Er ist aufgestanden und hat sich mit den anderen beraten, dann ist er wieder zu uns gekommen.
    »Hört sich so weit ganz gut an«, hat er gesagt. »Aber wir müssen uns noch ’n bisschen über euch erkundigen. Kommt nächste Woche wieder. Gleicher Tag, gleiche Zeit. – Übrigens: Warum hängt ihr immer noch da unten rum? Wollt ihr nicht mal langsam wieder aufstehen?«
    Eingeschüchtert, wie wir waren, haben wir immer noch mit dem Rücken an der Mauer gesessen. Jetzt sind wir natürlich aufgesprungen, alle haben über uns gelacht. War aber nicht weiter
schlimm, wir mussten auch lachen. Kurz drauf haben wir uns verabschiedet und sind gegangen.
    Tom wollte wissen, warum ich das gesagt hab: dass wir bei ihnen mitmachen wollen. Darüber hätten wir doch vorher gar nicht gesprochen. Womit er natürlich recht hatte. Ich hab nicht so richtig gewusst, was ich ihm antworten soll.
    Jetzt hab ich noch mal drüber nachgedacht. Irgendwie gefallen mir diese Typen am Neptunbad. Sie senken ihre Stimme nicht, wenn sie reden. Sie sehen einem in die Augen und nicht zu Boden. Sie albern rum und haben Spaß dabei. Sie tragen bunte Klamotten, nicht das ewige Braun wie in der HJ, nicht wie die vielen grauen Mäuse, die über die Straße laufen. Sie wirken irgendwie ungezwungen und – frei. Ja, ich glaub, das ist das richtige Wort. Sie wirken frei.
    Manchmal frag ich mich, was einer wie ich zu erwarten hat im Leben. Immer die gleiche stumpfsinnige Arbeit? Bloß nicht auffallen? Und dann die Wehrmacht, wo’s jeden Tag vorbei sein kann? Irgendwo muss es doch noch was anderes geben, was Besonderes, wofür es sich zu leben lohnt. Das ist der Grund, warum ich das mit dem Mitmachen gesagt hab. Ich werd’s Tom erzählen, wenn ich ihn morgen sehe.

23. Mai 1941
    Die letzte Woche hab ich vor Spannung kaum ausgehalten. Bei Ostermann konnte ich mich überhaupt nicht auf die Arbeit konzentrieren und hab ziemlichen Mist gebaut. Außerdem hab ich mich ’n paarmal nicht mit »Heil Hitler!« abgemeldet, wenn ich aufs Klo musste. Deswegen war ich gestern beim Personalleiter, meinem besonderen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher