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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
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gekratzt und vertrieben haben.
    Tom und ich, wir haben uns damals gefragt, warum sie das lichtscheue Gesindel eigentlich jede Woche neu vertreiben müssen. Und warum sie danach manchmal so geschwollene Gesichter haben. Und dann haben uns ein paar Jungs hinter vorgehaltener Hand erzählt, sie hätten ganz andere Geschichten gehört. Angeblich wären die Streifendienstler bei uns in Ehrenfeld schon mal richtig verprügelt worden. Deswegen kämen sie nachts gar nicht mehr her. Und die Typen, die das getan haben, würden sich unglaubliche Sachen trauen.
    Zum Beispiel machen sie sich über das Fahnenlied lustig. Unser heiliges Fahnenlied von der HJ! Singen nicht »Unsre Fahne flattert uns voran, in die Zukunft ziehn wir Mann für Mann«, sondern »Unser Baldur flattert uns voran, unser Baldur ist ein dicker Mann«. Damit ist natürlich unser ehemaliger Reichsjugendführer gemeint, Baldur von Schirach. Den nennen sie – und das haben die Jungs, die’s uns erzählt haben, wirklich nur geflüstert – »Baldur von Riecharsch«. Tom und ich, wir haben nicht gewusst, ob wir das glauben sollen. Wer so was in der HJ gewagt hätte, den hätten sie halb totgeprügelt dafür.
    Jedenfalls frag ich mich, ob die Typen am Neptunbad diese Leute sein könnten. Laut genug sind sie dafür. Und aussehen tun sie auch so, wie’s die Streifendienstler damals gesagt haben. Ich möcht’s wirklich zu gerne wissen!

16. Mai 1941
    Tom hat inzwischen auch seinen Lehrlingsvertrag unterschrieben, fast am selben Tag wie ich. Er lernt Kesselschmied bei Klöckner-Humboldt-Deutz, drüben auf der anderen Rheinseite. Ich hab ihm von der Sache am Neptunbad erzählt, und nach der Arbeit sind wir heute zusammen hin. Wir haben uns in der Gegend rumgedrückt und gewartet. Und tatsächlich! Als es dunkel war, sind diese Typen wieder aufgetaucht. Fast wie Gespenster, wir haben sie gar nicht kommen sehen.
    Zuerst haben wir uns nicht rangetraut. Aber dann wollten wir unbedingt wissen, was die eigentlich machen und worüber sie reden. Also sind wir hingeschlichen. Immer in Deckung, sodass sie nichts merken. Aber ich glaub, die haben uns von Anfang an gesehen und sich über uns lustig gemacht. Und wir haben nichts davon mitgekriegt!
    Jedenfalls sind wir ihnen richtig in die Falle getappt. Wir haben uns zu ’ner Mauer in ihrer Nähe geschlichen, hinter der wir liegen und sie belauschen konnten. Sie haben die ganze Zeit laut geredet – allerdings nur, um uns abzulenken, wie uns bald klar geworden ist. Auf die Weise haben wir nämlich nur nach vorne gesehen und nicht darauf geachtet, was hinter uns passiert.
    Und genau von da ist auf einmal diese Stimme gekommen: »Was die beiden Tierchen wohl hier zu suchen haben? Was glaubst du, Kralle?«
    »Hm! Spionieren vielleicht?«, hat eine zweite Stimme geantwortet, tiefer und dumpfer als die erste.
    »Spionieren?«, hat die erste wieder gesagt. »Am Ende für die HJ, was? Das wär aber schlimm für sie. Dann müssten wir ihnen ja furchtbar die Ohren langziehen!«
    Wir sind erschrocken hochgefahren. Zwei von ihnen haben direkt hinter uns gestanden. Die hatten sich rangeschlichen und uns die ganze Zeit beobachtet – während wir dachten, wir beobachten
sie
. Der eine, der als Erster gesprochen hat, ist so ein düsterer Typ gewesen. Ganz schwarze Haare, die ihm wirr in die Stirn fielen. Und Augen wie Kohlen. Mit ’nem Blick, der einem durch und durch geht. Ich hab richtig ’n bisschen Angst vor ihm gehabt. Der andere war so ein großer, kräftiger Kerl mit Händen wie Kohlenschaufeln.
    Es hat nicht lang gedauert, da sind auch die anderen da gewesen. Sie standen alle um uns rum und haben uns angestarrt, halb grinsend und halb feindselig. Wir haben uns mit dem Rücken an die Mauer gedrückt, mir war verdammt mulmig zumute.
    »Hey, den da kenn ich!«, hat einer von ihnen gesagt und auf mich gezeigt. »Der ist schon mal hier rumscharwenzelt.«
    Der Düstere ist noch ein Stück nähergekommen. »Tja, schlechte
Karten, Jungs«, hat er gesagt. »Gebt am besten gleich zu, dass der Streifendienst euch schickt. Dann machen wir’s mit der Haue nicht so schlimm.«
    Mir ist fast das Herz in die Hose gerutscht, ich wusste nicht, was ich machen soll. Zum Glück war Tom mutiger. Er hat gesagt: »Wir sind nicht bei der HJ. Mit dem Verein sind wir fertig.«
    Da sind sie neugierig geworden. Der Düstere hat sich vor uns hingehockt und gesagt: »Dann lasst mal hören, Jungs. Aber wenn ihr aus der Sache ohne blutige Nasen rauskommen wollt,
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