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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition)
Autoren: Gabrielle Zevin
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auftreiben konnten)
    ein neuer (längerer) Wollrock für Natty
    ein Papierbuch für Imogen (sie wurde in der nächsten Woche zweiunddreißig)
     
    Ich gab Natty Bargeld und Wertmarken. Dann beauftragte ich sie, Buch und Rock zu kaufen. Für diese Dinge wurde normalerweise der Preis verlangt, mit dem sie ausgezeichnet waren, so dass man kein besonders gewiefter Feilscher sein musste. Alle anderen Artikel würde ich besorgen. Ich hatte mich mit mehreren Riegeln Balanchine Extra Herb bewaffnet. Als ich unseren so gut wie leeren Vorratsschrank inspizierte, hatte ich mich gewundert, die Riegel dort zu finden. Auch wenn ich selbst den Appetit auf Schokolade verloren hatte, konnte sie jedoch unglaublich hilfreich beim Handeln sein.
    Als ich mich durch die Menschenmasse zu der Stelle durchkämpfte, an der normalerweise der Stand mit den Wasch- und Putzmitteln war, kam ich an einer Gruppe Studenten vorbei, die eine Demonstration veranstalteten. Ich wollte wissen, um was es ging. Politische Kundgebungen wie diese waren typisch für den Markt. Ein Mädchen mit fettigem braunem Haar und einem langen geblümten Rock, das schlecht ernährt wirkte, drückte mir ein Flugblatt in die Hand. »Nimm das mit, Schwester«, sagte sie. Ich blickte auf den Zettel. Dort war eine Frucht abgebildet, die ich für eine Kakaofrucht hielt, darunter standen die Worte: KAKAO JETZT LEGALISIEREN ! »Alles, was einem darüber erzählt wird, ist gelogen«, erklärte mir die Studentin. »Schokolade macht genauso wenig abhängig wie Wasser.«
    »Glaub mir, das weiß ich«, sagte ich und ließ das Flugblatt in meine Tasche gleiten. »Woher habt ihr das Papier für die Zettel?«
    »Die Papierknappheit ist auch eine Lüge«, erwiderte ein Mann. »Die versuchen nur, uns zu kontrollieren. Für gute alte amerikanische Dollarscheine ist immer genug Papier da, oder?«
    Diese Menschen gehörten zu der Sorte, die alles für eine Lüge hielten. Ich wollte lieber weitergehen, bevor einer von diesen Schokoladenverfechtern merkte, wer ich wirklich war.
    Ich verdrückte mich und konnte am ersten Marktstand alles bekommen, was ich brauchte, abgesehen von Obst und Pasta. Einen Nudelhändler fand ich einige Reihen weiter, er gab mir eine große Portion Penne, nachdem ich einen Bezugsschein für Fleisch vorgelegt und noch einen Riegel Schokolade dazugegeben hatte. Jetzt fehlte mir nur noch das Obst. Fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben, irgendetwas anderes als Pfirsiche aus der Dose zu ergattern, da erblickte ich eine Frau, die Blumen verkaufte. Ich gab ihr einen Schokoriegel für einen Strauß Rosen – das war ein Luxus, aber nach dem Sommer, den ich hinter mir hatte, sehnte ich mich nach etwas Duftendem, Buntem. Neben der Frau war ein Stand mit folgendem Schriftzug: JANES ORANGEN  – DIREKT AUS MANHATTAN . Ich trat heran. Apfelsinen waren meine absoluten Lieblingsfrüchte, so etwas hatten wir in Liberty nicht bekommen.
    Wins Mutter erkannte mich, bevor ich sie bemerkte. »Anya Balanchine«, sagte sie erstaunt. »Ja, habe ich doch recht gehabt. Ich bin’s, Jane Delacroix.«
    Ich machte einen Schritt zurück. »Ich hab’s eilig«, sagte ich. Falls ihr Mann in der Nähe war, könnte es Ärger geben.
    »Anya, warte! Charlie ist nicht hier. Er ist auf Wahlkampftour in einer der Gemeinden. Ich wollte nicht, dass meine ganzen Apfelsinen verrotten, deshalb bin ich hier. Meinem Mann ist das nicht gerade lieb, aber ich habe behauptet, es wäre schon in Ordnung. Ich bin eher eine Bäuerin und weniger eine Politikerfrau. Außerdem sind auf dem Markt echte Menschen. Und wir versuchen ja schließlich, wie echte Menschen zu wirken, nicht wahr?« Jane Delacroix’ hübsches Gesicht hatte mehr Falten als bei unserer letzten Begegnung.
    »Ah«, machte ich.
    »Bitte«, sagte sie, »nimm doch eine mit! Win hat mir mal erzählt, dass du Apfelsinen gerne magst. Er kommt übrigens jeden Augenblick zurück. Er wollte noch mehr Netze besorgen. Die Leute bringen zwar ihre eigenen Taschen mit, aber die Apfelsinen müssen atmen. Man kann sie nicht überall lagern. Bleib doch!«, bat sie.
    Win war hier? Ich ließ den Blick über die Menschen schweifen: zahllose Gesichter, doch seins war nicht dabei.
    Jane Delacroix hielt mir eine Apfelsine hin, und als ich die Frucht entgegennahm, umklammerte sie meine Hand. »Wie geht es dir?«
    Ich dachte nach. »Ich denke, ich bin froh, wieder frei zu sein.«
    Sie nickte. »Ja, Freiheit ist ein sehr hohes Gut.« Wins Mutter traten Tränen in die Augen.
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