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Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition)
Autoren: Gabrielle Zevin
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nächster Zeit wohl nicht sehen.«
    »Nein«, stimmte er zu. »Wahrscheinlich nicht.«
    Ich glaube, damals war ich sentimental. Einen Riegel Balanchine Extra Herb hatte ich noch übrig, den schenkte ich Win. Er musste mir versprechen, ihn nicht seinem Vater zu zeigen. Win nahm ihn entgegen, ohne ein Wort zu sagen oder einen Witz darüber zu machen, dass er vergiftet sei. Dafür war ich ihm dankbar. Er ließ den Riegel einfach in seine Tasche gleiten und verschwand dann in der Menge. Er humpelte leicht, und irgendwie war ich froh, ihm noch etwas anderes hinterlassen zu haben als dieses Humpeln. Er konnte sich wohl glücklicher schätzen als Gable Arsley.
    Natty und ich stiegen mit unseren Einkäufen in den Bus. »Warum gerade Alison Wheeler?«, fragte sie, als wir ein paar Minuten saßen. »Er liebt doch dich.«
    »Ich habe mit ihm Schluss gemacht, Natty.«
    »Ja, aber …«
    »Und wegen mir wurde auf ihn geschossen.«
    »Aber …«
    »Und vielleicht hat er mich satt. Unsere Familie. Wie kompliziert das alles ist. Manchmal hab ich mich auch über.«
    »Aber Win doch nicht, nein«, sagte Natty mit leiser, aber überzeugter Stimme. »Das ergibt keinen Sinn.«
    Ich seufzte. Natty sah vielleicht aus wie fünfundzwanzig, aber im Herzen war sie immer noch zwölf, nein, dreizehn!, und das fand ich tröstlich. »Ich kann jetzt nicht mehr über ihn nachdenken. Ich muss mir eine Schule suchen. Ich muss mit unserem Cousin Mickey sprechen. Ich muss Yuji Ono anrufen. Und von jetzt an gehen wir zum Markt am Columbus Circle«, sagte ich. »Und es ist mir egal, wenn wir deshalb quer durch den Park laufen müssen!«
     
    Als wir die Wohnung erreichten, klingelte das Telefon. Ich hörte, dass Imogen sich meldete. »Ja, Anya ist, glaube ich, gerade nach Hause gekommen. Einen Moment bitte.«
    Ich ging in die Küche, um die Taschen auszupacken, wo mir Imogen das Telefon entgegenhielt. »Win ist dran«, sagte sie mit einem dümmlichen Grinsen.
    »Aha«, machte Natty mit einem nervig wissenden Blick.
    Imogen legte den Arm um sie. »Komm, meine Kleine«, flüsterte sie. »Gönnen wir deiner Schwester ein wenig Privatsphäre.«
    Ich holte tief Luft. Als ich durch die Küche zum Telefon ging, hatte ich das Gefühl, das Blut in meinen Adern würde brodeln. Ich griff zum Hörer. »Win«, sagte ich.
    »Herzlich willkommen zu Hause, Anya.« Ich kannte die Stimme, aber sie gehörte auf keinen Fall Win.
    Meine Hände wurden eiskalt. »Wer ist da?«
    Es gab eine Pause. »Dein Cousin. Hier ist Jacks. Jakov Piroschki.«
    Als würde ich einen anderen Jacks kennen. »Warum behauptest du, Win zu sein?«, wollte ich wissen.
    »Weil du sonst nicht mit mir reden würdest. Und wir müssen uns dringend unterhalten«, sagte Jacks.
    Ich erwiderte, es gebe nichts zu besprechen. »Ich lege jetzt auf.«
    »Wenn du wirklich auflegen wolltest, hättest du das längst getan.«
    Er hatte recht, doch ich schwieg. Mein Schweigen musste ihn nervös machen, denn als er wieder sprach, klang er zerknirschter. »Hör zu, Annie, hör zu. Ich habe nicht viel Zeit. Ich darf nur einmal pro Woche telefonieren, und das muss ich bezahlen, weißt du.«
    »Und wie ist das Leben im Gefängnis sonst so, Cousin?«
    »Unaussprechlich«, erwiderte Jacks nach einer Pause.
    »Hoffentlich ist es die Hölle.«
    »Bitte, Annie! Komm mich hier in Rikers besuchen. Ich muss dir ein paar Sachen sagen, die ich nicht am Telefon erzählen kann. Man weiß nie, wer zuhört.«
    »Warum sollte ich das tun? Du hast einen meiner Freunde vergiftet und auf den anderen geschossen, weil du dachtest, er wäre mein Bruder. Ich wurde wegen dir der Schule verwiesen und nach Liberty geschickt.«
    »Sei nicht so naiv«, gab Jacks zurück. »Diese Sachen liefen schon lange vor mir. Ich habe gar nicht die Beziehungen für so was. Bitte. Tief in deinem Herzen kannst du doch nicht wirklich glauben, dass ich … Es ist nicht so, wie es aussieht … Ich habe schon zu viel gesagt. Du musst mich hier besuchen.« Er senkte die Stimme. »Ich glaube, dass deine Schwester und du in furchtbarer Gefahr seid.«
    Ganz kurz spürte ich Angst im Herzen, dann ging es vorüber. Wen interessierte schon, was Jacks sagte? Er hätte alles gesagt oder getan, um zu erreichen, was er wollte. Hatte er nicht mit derselben Taktik meinen Bruder Leo manipuliert? Ihm erzählt, Natty und ich seien in Gefahr, um ihn so beeinflussen zu können? »Ich habe den Eindruck, dass der Mensch, der meine Familie der größten Gefahr ausgesetzt hat, du bist,
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