Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Edelherb: Roman (German Edition)

Edelherb: Roman (German Edition)

Titel: Edelherb: Roman (German Edition)
Autoren: Gabrielle Zevin
Vom Netzwerk:
dir, Anya, das schwöre ich. Lass mich nur noch ein bisschen hier sitzen. Mein Bein wird nachts immer ganz dick. Lass mich noch ein bisschen hierbleiben. Ich verspreche, dass ich nicht hinsehe, wenn du dich umziehst.«
    »Ich war im Gefängnis, Arsley, und wenn du irgendwas bei mir versuchst, dann Gnade dir …« Ich öffnete die Kleiderschranktür so weit, dass ich dahinter unauffällig in meinen Schlafanzug schlüpfen konnte, dann setzte ich mich im Schneidersitz aufs Bett. »So«, sagte ich.
    »Ich habe an das letzte Mal gedacht, als wir beide allein in diesem Zimmer waren«, sagte er. »Ich weiß, dass ich mich schlecht benommen habe, und das tut mir leid. Es stimmt, ich wollte an dem Abend mit dir schlafen, aber ich hätte dich niemals dazu gezwungen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Soll das heißen, du willst dich entschuldigen?«
    »Ja, kann sein. Ich bin fast schon froh, dass der Fahrstuhl kaputt ist, sonst hätte ich dich nämlich niemals allein erwischt, dabei will ich dir das schon seit längerem sagen. Hier drin herrscht übrigens eine Bullenhitze.« Er zog seinen Lederhandschuh aus, und ich sah, dass er anstelle der amputierten Glieder drei silberne Fingerspitzen hatte. Er sah aus wie ein Roboter.
    »Arsley, deine Finger!«
    Er lachte mich an. »Du musst so tun, als würdest du sie nicht bemerken.«
    »Aber die sind irgendwie interessant.«
    Er wackelte mit den Silberfingern. »Möchtest du sie mal berühren, Anya?«
    Eigentlich war ich durchaus neugierig, doch hielt ich es für keine gute Idee, einen Körperteil von Gable anzufassen, nicht mal einen künstlichen.
    »Los, komm, Anya! Gib mir die Hand! Freunde können sich doch die Hand geben, oder?«
    Wir waren keine Freunde. »Wie läuft’s in Trinity?«
    »Wie immer. Ist ätzend, das Abschlussjahr zu wiederholen«, erwiderte er. »Weißt du schon, zu welcher Schule du wechseln willst?«
    »Zu jeder, die mich nimmt, würde ich sagen.«
    »Es ist dämlich von denen, dich nicht wieder zuzulassen«, sagte Gable. »Du hast Win Delacroix das Leben gerettet.«
    Es war meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass Scarlet das Thema Win den ganzen Nachmittag gemieden hatte. Von Gable Arsley wollte ich eigentlich keine Neuigkeiten über Win erfahren. Trotzdem war es immer noch besser, als gar nichts zu wissen. »Ist Win« – ich versuchte, meine Stimme beiläufig klingen zu lassen – »auch wieder zurück in Trinity?«
    Gable verdrehte die Augen. »Oh, ich merke schon, wie gleichgültig er dir ist. Du warst schon immer die schlechteste Lügnerin der Welt, Anya. Redest du nicht mehr mit ihm?«
    Ich erklärte, dass wir keinen Kontakt haben durften.
    »Das würde mich nicht davon abhalten.« Gable fuhr sich mit seinen Metallfingern durchs Haar. »In der Mittagspause sitzt er nicht mehr bei Scarlet und mir, aber das ist in Ordnung. Er war immer so ernst. Wie du nach mir auf ihn abfahren konntest, werde ich nie verstehen.«
    Ich wollte noch mehr über Win wissen, aber nicht selbst nachfragen müssen. Glücklicherweise gab Gable nur zu gern weitere Informationen preis. »Hör zu, Scarlet meinte, wir sollten dir das noch nicht erzählen, aber du wirst es früher oder später eh erfahren. Win ist mit Alison Wheeler zusammen.«
    Ich atmete tief durch und versuchte, nichts zu empfinden. »Ich weiß, wer das ist.« Win war mit ihr im letzten Jahr zum Herbstball gegangen. Er hatte behauptet, lediglich mit ihr befreundet zu sein, aber das nahm ich ihm jetzt nicht mehr so einfach ab. Kein Wunder, dass ich ihn nicht mehr gesehen hatte.
    »Was meinst du mit: Ich weiß, wer das ist?«, fragte Gable. »Natürlich weißt du, wer Alison ist. Wir gehen seit Jahren mit ihr zur Schule.«
    Ich hatte mich einfach bemüht zu vermeiden, etwas Aufschlussreicheres zu dem Thema zu sagen. »Wie kam es dazu?«, wollte ich wissen.
    »Junge trifft Mädchen. Ich glaube, sie hat beim Wahlkampf seines Vaters mitgeholfen. Irgend so was. Sieht ja auch nicht schlecht aus. Ich würde sie auch nicht verstoßen.«
    Ich sah Gable mit zusammengekniffenen Augen an. »Wenn du nicht mit Scarlet zusammen wärst, meinst du.«
    »Das hatte ich vorausgesetzt, Anya.«
    »Du gehst jetzt besser«, riet ich ihm.
    »Warum? Damit du wegen Win ins Kopfkissen heulen kannst? Komm mal her! Du kannst dich an meiner Schulter ausweinen.«
    »Geh jetzt!«, sagte ich.
    »Hilfst du mir bitte auf die Füße?«
    Ich reichte ihm die Hand, und als er sich aufrichtete, flüsterte er mir ins Ohr: »Du bist viel hübscher als Alison
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher