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Dystopia

Dystopia

Titel: Dystopia
Autoren: Patrick Lee
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Rahmen.
    Schlagartig drangen die Geräusche der Außenwelt herein. Das schwere Knattern einer automatischen Schusswaffe – es konnten auch mehrere sein – erfüllte die Nacht. Irgendein wahrhaft monströses Kaliber, mit Sicherheit kein leichtes Maschinengewehr. Nicht mal eins der Sorte, das Patronen vom Kaliber 7.62 mm abfeuerte. Das hörte sich eher nach einem schweren Maschinengewehr wie dem Browning M2 an. Patronen vom Kaliber .52  BMG , so groß wie menschliche Finger, die mit dreifacher Schallgeschwindigkeit heransausten. Paige hing kopfüber in dem Sicherheitsgurt, der ihr nach wie vor die Luft abschnürte. Über das Gewehrfeuer hinweg konnte sie ein weiteres Geräusch hören, dem Prasseln von Regen auf Stahlblech ähnlich, aber um ein Hundertfaches verstärkt. Es war das Geräusch der in die Fahrzeuge einschlagenden Kugeln, und es wurde lauter, das nahm sie deutlich wahr. Sie wusste, was das bedeutete. Die Schützen bewegten sich an der Fahrzeugkolonne entlang und nahmen gründlich und methodisch einen Wagen nach dem anderen unter Beschuss.
    «Paige?»
    Sie wandte den Kopf zur Seite. Crawford lag an der zerbeulten Wagentür. Sein Kopf war seltsam abgeknickt gegen das Dach unter ihm gepresst. Er schien entschlossen, keine Angst zu haben. Er wusste, was bevorstand.
    Paige versuchte zu erkennen, ob die beiden Männer auf den Vordersitzen bei Bewusstsein waren. Unmöglich zu erkennen. Das Fahrzeug war so weit zusammengedrückt worden, dass die Kopflehnen vorne das Dach berührten, und zwischen den Sitzen konnte sie nur Dunkelheit sehen.
    Die Einschläge des MG -Feuers waren inzwischen dicht herangekommen. Zerfetzten gerade das Fahrzeug direkt vor ihnen. Paige wandte sich wieder Crawford zu. Sie wechselten einen Blick. Das war höchstwahrscheinlich ihr Abschied.
    «Es hat bereits angefangen», sagte er. «Was auch immer es ist, es hat angefangen. Und der Präsident ist ein Teil davon.»
    Paige nickte. Sie begann zu verstehen. Begleitet von Wut. Genug Wut, um ihre Angst aufzuwiegen.
    Dann löste sich etwas in ihrer Brust, ihre Lunge war wieder in der Lage, sich auszudehnen, und sie holte tief Luft. Eine halbe Sekunde darauf schlugen die ersten Kugeln in das Fahrzeug ein.
    Sie schloss die Augen. Der Lärm war unbeschreiblich. Metallschreie, die ihr schier das Trommelfell zerrissen, kaum zu unterscheiden von menschlichen Schreien, sodass sie nicht zu sagen vermochte, ob sie auch selbst schrie. Inmitten des Trommelfeuers spürte sie, wie Flüssigkeit über sie hinwegströmte. Ihr eigenes Blut? Unwahrscheinlich, entschied sie gleich darauf. Überlebende von Schießereien berichteten, dass sich ihr Blut auf der Haut anfühlte wie warmes Wasser. Diese Flüssigkeit jedoch war kalt. Sie atmete ein weiteres Mal tief ein, nahm den beißenden Geruch von Benzin wahr und begriff.
    Und dann verstummten die Schüsse.
    Sie war noch am Leben.
    Sie öffnete in der plötzlichen Stille die Augen. Das Benzin tröpfelte überall um sie herum nach unten, sammelte sich in Lachen in den Vertiefungen des zerbeulten Fahrzeugdachs.
    Sie sah Crawford an. Crawford war tot. Seine Augen waren weit geöffnet und starrten sie an, aber er war tot. Ein Schuss hatte ihn in der Brust getroffen. Es sah aus, als hätte irgendein riesiges Tier ihm mit einem Biss den halben Brustkorb mitsamt einem Lungenflügel und einem großen Teil seines Herzens herausgerissen. Durch die Öffnung neben Crawford, dort, wo sich das Fensterglas befunden hatte, hörte sie Stimmen, die einander etwas zuriefen. Dann den Knall einer Pistole, einer .45er möglicherweise. Noch mehr Stimmen. Sie kamen näher. So, wie sie lag, war ihr Blickwinkel denkbar eingeschränkt: Das Einzige, was sie draußen vor dem Fenster sehen konnte, war ein kleines Stück Straßenasphalt.
    Sie ertastete das Gurtschloss, drückte den Knopf und landete mit einem schweren Plumps auf der Unterseite des Daches. Nun befand sie sich auf einer Höhe mit dem Fenster, konnte hinausspähen, die ganze demolierte Wagenkolonne entlang. Türen hingen halb offen in den Scharnieren. Aus einer ragte ein Arm, an dem Blut hinabrann und von den Fingern tropfte.
    Die Schützen kamen Fahrzeug für Fahrzeug näher, nahmen jedes einzelne aufmerksam in Augenschein. Sie sah einen Mann mit einer Pistole und einen mit einem PDA , von dessen Display weißes Licht auf sein Gesicht fiel. Die beiden bewegten sich von dem ersten zum zweiten Fahrzeug, wo sie stehen blieben und einen Insassen auf der Beifahrerseite musterten. Der
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