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Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)

Titel: Dustlands - Der Herzstein: Roman (German Edition)
Autoren: Moira Young
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meinem Ausschnitt. Mit ruhigen, eiskalten Händen zieh ich den Stöpsel aus der Flasche. In meinem Kopf hör ich Slims Stimme.
    Ein Tropfen, und ein Mann schläft acht Stunden. Zwei Tropfen, und er schläft den ganzen Tag, vielleicht noch den nächsten halben.
    Und drei?, frag ich.
    Der längste Schlaf von allen. Überleg gut, wie du’s benutzt.
    Ich guck mich um. Ich kann hören, wie DeMalo sich im Schlafzimmer bewegt. Ich halt den Atem an und tropf die Flüssigkeit in den Becher mit der Delle. Ein Tropfen. Zwei. Ich zöger. Sein mitgenommener müder Blick.
    Ich stöpsel das Fläschchen zu und steck es wieder in meinen Ausschnitt. Lass den Wein im Becher kreisen. Nehm beide Becher und geh zurück zu DeMalo.
    Er liegt auf dem Bett und reibt sich mit einer Hand den Kopf. Barfuß, ohne Hemd, nur die Hose hat er noch an. Mit dem Türschlüssel in der Tasche. Ich setz mich neben ihn. Geb ihm den Becher mit der Delle. Wir trinken. Plötzlich wird mir klar, dass ich keine Ahnung hab, wie lang es dauert, bis das Zeug wirkt. Slim hat nichts gesagt, und jetzt verfluch ich mich, weil ich nicht gefragt hab.
    »Komm, leg dich hin«, sagt er. »Zieh die Stiefel aus.«
    Ich will nicht. Aber mir fällt kein guter Grund ein, sie anzubehalten, also tu ich’s. Er zieht mich runter neben sich. Hält mich im Arm. Das Kerzenlicht lässt Schatten auf seinem Gesicht spielen. Glänzt auf der glatten Haut seiner Brust. Er riecht wie ein Bergwald in einer kalten, dunklen Nacht.
    »So ist es besser«, sagt er.
    »Die gefällt mir«, sag ich und berühr die Tätowierung über seinem Herz. Die rote aufgehende Sonne.
    »Jeder Tonton bekommt eine«, sagt er. »Sobald er seine Hingabe an das Wohl der Erde bewiesen hat. An New Eden. An mich.«
    »Wie? Durch Töten?«
    »Wir säubern lediglich die entzündete Wunde«, sagt er. »Du hast das Gleiche getan. In Hopetown. In Freedom Fields.«
    »Dann muss ich auch eine kriegen«, sag ich.
    Er berührt meine nackte Haut, gleich überm Herz. Sie erschauert bei seiner Berührung. »Nein«, sagt er. »Du bist perfekt so, wie du bist.« Er zupft an dem Band, mit dem mein Kleid vorn zugeschnürt ist. Es löst sich. Das Fläschchen. Das darf er nicht finden. Ich pack sein Handgelenk, fester als ich gewollt hab. Er runzelt die Stirn.
    »Was ist das?« Ich berühr das schmale Silberband, das er am linken Handgelenk trägt. Es ist mir schon in seinem Zelt aufgefallen. Seltsame Zeichen sind da drin eingeritzt.
    »Nichts.« Er zieht die Hand weg, beugt sich näher zu mir, um mich zu küssen, und ich versteif mich.
    »Was ist los?«, fragt er. Seine Hand streift den Herzstein. Hastig zieht er sie weg. »Er ist heiß«, sagt er überrascht.
    »Das ist ein Herzstein«, sag ich. »Je näher man dem kommt, was das Herz sich wünscht, desto heißer brennt er.«
    »Bin ich das, was dein Herz sich wünscht?«, fragt er.
    »Das sagt jedenfalls der Stein.« Ich streich mit einem Finger über sein Gesicht. Ganz leicht. Langsam. Über die Stirn, die Augenbrauen. Die Wangenknochen, die Nase, die Lippen. »Tut mir leid«, sag ich. »Ich muss mich erst dran gewöhnen … so mit dir zusammen zu sein.«
    »Ich wollte dir etwas erzählen«, sagt er. »Ich habe etwas Erstaunliches gefunden. Wenn es das ist, was ich glaube, dann wird es alles verändern. Es wird uns ermöglichen, zu –«
    »Schsch«, sag ich.
    Seine Lider fallen zu. »So schwer«, murmelt er. »Es fühlt sich an, als würde ich … hinabgezogen. Es fühlt sich an wie … ahhh«, haucht er. »Der Wein. Du hast etwas hineingetan. Tötest du mich, Saba?«
    Im Kerzenlicht seh ich in seinen dunklen Augen ein winziges Spiegelbild. Mich.
    Ich küss ihn sanft auf den Mund. »Wiedersehen, Seth.« Seine Augen fallen zu. Seine Brust hebt und senkt sich. Hebt und senkt sich. Sein Atem wird tiefer.
    »Seth«, sag ich. »Seth?«
    Keine Antwort. Er ist außer Gefecht.

    I ch zieh das Messer unterm Teppich vor, schließ die Tür auf und lauf hastig die Treppe runter. Dann raff ich das rote Kleid zusammen und renn los, so schnell ich kann, die Stiefel in der Hand. Barfuß und leise. Die nächtliche Stille wirkt drückend. Ich lauf den langen, langen Gang im dritten Stock lang. Vorbei an dem verrammelten Zimmer, wo der Befehlshaber mit dem fliehenden Kinn von Krähen träumt.
    Meinem Gefühl nach bin ich nur ein paar Minuten bei DeMalo gewesen. Aber sein Zimmer, sein Zelt, der Abwrackerbunker … das sind alles Orte, die außerhalb der Zeit liegen. Wo das wirkliche Leben
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