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Durcheinandertal

Durcheinandertal

Titel: Durcheinandertal
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Bescheid, und die Polizei wolle auch nicht als ein Löl dastehen. Mit einem Mal hörte der Föhnsturm auf. Die Glühbirne hing ruhig. Sie konnten einander in ihre schweißüberströmten Gesichter sehen. Eine unbändige Lust 108
    überfiel sie, Schluß mit dem Kurhaus zu machen, zu zerstören, niederzubrennen, und als Sepp Pretánder seine Predigt mit
    »Amen, Halleluja, Hosianna« schloß und die Kanzel durchbrechend bäuchlings auf sie fiel, trugen sie ihn wie einen König zum Depot der Feuerwehr, die Wirte ›Zum Eidgenossen‹, ›Zur Schlacht am Morgarten‹, ›Zum General Guisan‹, ›Zum Hirschen‹ und ›Zum Spitzen Bonder‹ rollten ihre leeren Schnaps- und Weinfässer zur Garage, wo der Garagist sie mit Benzin füllte, und die Glocke bimmelte zum Angriff.
    Die bewaldete Talseite, an der das Kurhaus lag, wird durch eine kleine, aber tiefe Schlucht gespalten. Durch diese ergießt sich ein Wildbach in die große Schlucht, die das Dorf vom Kurhaus trennt. Jenseits der kleinen Schlucht spähte unter dem Geäst einer Tanne unterhalb einer Schotterstraße Michael zum Kurhaus hinüber. Er hörte das Bimmeln der Feuerglocke, dann verstummte es jäh. Im Dorf gingen die Lichter aus. Eine Stunde verging. Das Kurhaus lag auf der anderen Seite der Schlucht, eine dunkle vergiebelte Masse mit den zwei Wohntürmen, nichts drang nach außen, nichts wies auf die Weihnacht, die man darin feierte. Es ging gegen elf. Von drüben hörte er Geräusche, eine dunkle Masse drang von der Schlucht gegen das Kurhaus herauf. Immer mehr Sterne wurden sichtbar. Das ungeheure Band der Milchstraße. Am jenseitigen Hang hoch über dem Kurhaus rezitierte der Schulmeister: »Da ists denn wieder, wie die Sterne wollten: Bedingung und Gesetz; und aller Wille ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten«, blödsinnig zu dem, was sich unter Michaels spähenden, ruhigen Augen vorbereitete: Nun sichtbar in der sternenklaren Nacht, rollte der Motorfeuerwagen in Stellung, wurden die Schläuche gelegt, an die Hydranten angeschlossen.
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    Lautlos, nur Schatten, gerade noch auszumachen.
    Im Gegensatz zum trostlosen Kircheninnern stand in der Kurhaushalle ein mit Christbaumschmuck derart überhäufter Weihnachtsbaum, daß von ihm kaum mehr etwas zu sehen war.
    Doch war es nicht ein gewöhnlicher Christbaumschmuck, der da hing, der Baum war mit Revolvern und Maschinenpistolen behängt, in deren Läufen die brennenden Kerzen steckten, auch hatte Baby Hackmann aus Ärger, daß er nicht hatte zudrücken dürfen, einige Eierhandgranaten als Weihnachtskugeln befestigt. Um den Baum herum von Kücksen, Oskar und Edgar, die Prominenz von Niagara-Vat über Red-Flowers bis zu Potomac-Charlie, die in Ohrensesseln und auf Ledersofas Moses Melker erwarteten. Dieser hatte sich seit Stunden in den Schreibsalon zurückgezogen, wo sonst gepokert wurde. Die Stimmung war düster und bedrohlich. Die Halle war verqualmt, jeder schlotete nervös, Wanzenried wagte nicht zu lüften, draußen rezitierte Fronten bald nah, bald fern Goethe.
    Big-Jimmy hatte Marihuana-Joe immer noch nicht aufge-trieben, auch Doc war verschwunden. Baby Hackmann war überzeugt, daß Melker ein Spion des Syndikats sei, an das sie der Große Alte verkauft habe, es sei höchste Zeit, ein eigenes Syndikat zu gründen, er frage sich seit langem, was dieses Kurhaus für einen Sinn habe und wozu dieser Doc eigentlich operiere, er habe verdammt lange an Marihuana-Joe herumgearbeitet, und nun sei Alaska-Pint in der Waschküche.
    Doch waren nicht alle wie Hackmann mißtrauisch; sie dachten, Melker sei mit einer geheimen Botschaft des Großen Alten gekommen, durch von Kücksen sei er gezwungen, die Pläne des Großen Alten in Form einer Weihnachtspredigt bekannt-zugeben. Der Reichsgraf dagegen war überzeugt, wieder einmal falsch gehandelt zu haben, er hatte inzwischen nach 110
    Zürich telefoniert, aber die Minervastraße 33a meldete sich nicht, eine Stimme sagte, die Nummer sei außer Betrieb, er rief einen befreundeten Galeriebesitzer in Zürich an, der fuhr hin und telefonierte zurück, eine Nummer 33a in der Minervastraße gebe es nicht. Endlich kam Moses Melker, blieb hinter einem Fauteuil stehen, legte die Hände auf die Lehne, schaute auf die Versammlung, blinzelnd unter seinen buschigen Augenbrauen, lächelnd mit wulstigen Lippen. Hatte sich in ihm in der Sommersaison oft etwas Finsteres, Bedrohliches zusammengeballt, so daß nach seinen Morgenandachten die reichen Witwen, Generaldirektoren und
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