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Dunkles Erwachen

Dunkles Erwachen

Titel: Dunkles Erwachen
Autoren: Thomas Knip
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zischte ihm ein ›Sssch‹ zu und mahnte ihn zur Ruhe. Der alte Mann zuckte nur vielsagend mit den Schultern und hob die Hände.
    »Die Wege der Frauen sind für uns unergründlich, Kinder!« Ein paar der Männer lachten auf und handelten sich von ihren Angetrauten einen Stoß in die Rippen ein, wenn diese auch zuhörten. N'sage registrierte es mit Freude und erzählte weiter.
    »So, inzwischen war der Talon in sein Gebiet zurückgekehrt und wollte das Rudel T'chas besuchen. Doch es überraschte ihn, erwartet zu werden …«
     
    Die Reise in die Savannengebiete, die für Talon eine Heimat waren, hatte mehrere Tage gedauert. Die vergangenen Monate über hatte er hier gelebt. Er vermisste die Beengtheit des Dschungels nicht, die keine Sicht ermöglichte und alles verhüllte.
    Seine Füße glitten durch das trockene, niedrige Gras, das sich wie ein ockergelber Teppich über die Erde legte. Das Gelände stieg hier leicht an und wurde immer mehr von Felsen durchbrochen, die sich aus dem Boden schoben. Und auf einem von ihnen konnte Talon bereits einen Löwen erkennen, der sich auf den steinigen Untergrund gelegt hatte. Als er den Menschen erblickte, schnellte er in die Höhe und grollte leise auf.
    Sofort lösten sich aus dem Schatten des Felsens weitere Tiere, die sich im Gelände verteilten. Zumeist waren es die jungen Löwen oder die Muttertiere, die sich ihm näherten. Doch sie alle hielten den gleichen Abstand zu ihm und warteten, bis er den Hügel erklommen hatte.
    [Talon, sei gegrüßt], eröffnete der älteste Löwe das Gespräch. Er zögerte, als wisse er nicht, wie er sich verhalten solle. [Wir müssen entschuldigen, aber wir bitten dich zu … gehen.] Wie um sich selbst zu unterstützen, beendete er die Bitte mit einem heiseren Fauchen.
    Talon hielt überrascht inne und sah verblüfft in die Runde.
    »Was …? N'che«, richtete er sich an das Tier, das ihn empfangen hatte. Es war das Leittier, das bereits seit einem halben Jahr über das Rudel herrschte. »Was soll das? Ich habe auf dein Verlangen hin bereits das Rudel verlassen.«
    Der Ring der Löwen schloss sich enger um den Menschen. Dennoch wirkten sie zurückhaltend und schienen jede Konfrontation zu vermeiden.
    [Du gehörst nicht unter uns, Talon.] Der Löwe riss den Kopf hoch und sah Talon herausfordernd an.
    [Du gehörst nicht mehr hierher!]
    »Was?«, entgegnete Talon. Suchend fuhr sein Blick umher und ging von einem Tier zum nächsten, bis er endlich seine Ziehmutter entdeckte. »T'cha, was soll das bedeuten?«, wollte er von ihr wissen. Doch sie senkte nur den Kopf und tat einen Schritt zur Seite. In ihm begann es zu brodeln.
    »Lasst mich durch!«, herrschte er das Rudel an. »Ich bin der Bezwinger Shions!« Er nahm N'che gegenüber eine kampfbereite Haltung ein und spannte seine Muskeln an. Doch der Löwe blieb weiter zurückhaltend.
    [Das bist du], bestätigte er ihm. [Und deswegen geh!] Das Raubtier wich dem lodernden Blick des Mannes nicht aus. [Shion – er wurde nach seinem Sieg von der Welt verstoßen. Zu groß. Zu mächtig … nur noch gefürchtet.]
    Der alte Löwe fletschte seine Zähne und knurrte Talon an.
    [Also geh!], löste sich das Brüllen aus seiner Kehle. [Oder müssen wir dich bekämpfen?]
    Talon breitete die Arme aus und schien die Löwen empfangen zu wollen.
    »Wenn ihr wollt«, löste es sich kühl von seinen Lippen. »Ich werde ohne Kampf nicht weichen.«
    T'cha stellte sich dem Menschen in den Weg und fauchte ihn an. Talon konnte ihren heißen Atem spüren.
    [Sohn, geh! Wir wollen dich nicht mehr unter uns haben!]
    Das Feuer in den Augen des Mannes erlosch. Verwundert stolperte er einen Schritt zurück und sah die Löwin erstaunt an. »T'cha, Mutter …«
    Mit einem Mal begann er zu frösteln. Das Raubtier machte einen Schritt auf ihn zu und hob den Kopf an.
    [Talon, versteh doch. Es ist besser, wenn du gehst.]
    Sie suchte mit ihrem Blick seine Augen.
    [Wir fürchten dich.]
    Die Worte schnitten tief in seine Seele. Er senkte den Kopf. Aus seinem Körper löste sich die Anspannung. Mit geschlossenen Augen nickte er und wandte sich um.
    »Gut. Leb wohl, Mutter«, flüsterte er leise. Er blickte kurz nach Südwesten, in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann wandte er sich in nördliche Richtung und stieg die leichte Anhöhe hinab.
    Talon konnte nicht sehen, wie T'cha stehen blieb und ihm nachsah, während sich die Reihe der Löwen auflöste.
     

 
     
     
    Fußnoten
     
    1 arabisch: Du bist Sadiq, ja?
     
    2 arabisch:
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