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Dunkles Erwachen

Dunkles Erwachen

Titel: Dunkles Erwachen
Autoren: Thomas Knip
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ihn und bildeten einen engen Ring.
    »Es ist längst an der Zeit, dir deine Hoffart heimzuzahlen«, knurrte einer der Männer. Die Wächter hoben ihre Speere an.
    [Halt!], dröhnte die grollende Stimme Shions.
    Der schwarze Körper schob sich mächtig durch den Gang und trat auf den noch immer am Boden kauernden Talon zu. Ehrfürchtig wichen die Männer zurück und lösten den Kreis auf. Jeder hielt seinen Blick nach unten gerichtet oder hatte die Augen fest geschlossen.
    [Lasst ihn gehen], forderte Shion sie auf.
    Talon wandte den Kopf nach rechts, wo der dunkle Schatten neben ihm stand. Die Schwingungen, die von seiner Form ausgingen, erfüllten die Luft mit einer unwirklichen Lebendigkeit.
    Misstrauisch betrachtete er die Männer. Doch keiner von ihnen wagte es, gegen den Befehl aufzubegehren. Sie hinderten ihn nicht daran, aufzustehen. Schmerzen wüteten in seinem Körper. Bei jedem Schritt glaubte er, erneut in die Knie gehen zu müssen.
    Der kalte Stein unter seinen Füßen klärte sein Bewusstsein. Wutentbrannt und mit gesenktem Kopf ging er an der schweigenden Mauer unverhohlener Ablehnung vorbei. Die Männer hatten ein schmales Spalier gebildet und ließen ihn passieren. Ihre Blicke ruhten düster auf seinem von den zurückliegenden Kämpfen gezeichneten Körper. Sie standen absichtlich so eng beieinander, dass er sich zwangsläufig zwischen ihnen hindurchdrücken musste.
    Talon hatte den Blick nur starr nach vorne gerichtet und drückte die Männer mit seinen Schultern zur Seite. Unbehelligt konnte er den Tempel verlassen. Er schritt über eine breite Steintreppe nach unten, hinab in die von der grünen Üppigkeit des Dschungels erfüllte Ebene.
    Die Wächter hatten sich am oberen Ende der Treppe platziert und sahen dem weißen Mann nach. Ihre Augen blitzten voller ungezügelter Gefühle auf. Auch N'kele, der die Männer anführte, musste sich mit aller Mühe beherrschen und tat sich schwer, nicht einfach seinem Impuls zu folgen.
    Er verneigte sich, als Shion an ihm vorbei zum Rand der Plattform weit über der Ebene schritt.
    »Herr«, richtete er seine Frage an den dunklen Löwen. »Warum habt Ihr ihn ziehen lassen?«
    Shion starrte lange nach unten und folgte Talons Gestalt, bis diese zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann erst wandte er leicht den Kopf und sah seinen treuen Diener an.
    [Er wird zurückkommen, N'kele], erklärte er ihm. [Ihm wird es ergehen wie mir.]
     
    Nchezu verzog die Lippen und tippte sich mit dem Zeigerfinger gegen die Unterlippe.
    »Aber warum ist Talon denn gegangen?«, unterbrach er den alten Erzähler. N'sage lächelte verschmitzt und war froh, dass sich einer der Zuhörer beteiligte.
    »Nun, Talon war nicht bereit für die Verantwortung«, erklärte er den Umstehenden, »- noch wusste er um sie.«
    Er warf einen vielsagenden Blick in die Runde. Inzwischen hatte sich die Zahl der Zuhörer weiter vergrößert. Bedeutungsvoll hob er den Zeigefinger der rechten Hand in die Höhe und fuhr fort.
    »Wie sollte er auch wissen, dass Tausende von Meilen entfernt das Schicksal seine Fäden enger um ihn wob …!«
     
    Amos Vanderbuildt drehte den schwarzen Stein, der einem Obsidian glich, zwischen seinen Fingern und betrachtete das Licht, das in der Oberfläche zu versinken schien.
    »Faszinierend …«, sinnierte er. Er hielt in seinen Betrachtungen inne und sah auf. »Woher, sagten Sie, haben Sie den Stein?«
    Vanderbuildt wandte seinen Kopf und sah die junge Frau an, die sich gegen die schwere Schreibtischplatte aus Plexiglas lehnte. Janet Verhooven war seit gestern wieder in Kapstadt und hatte sich noch einen Tag von den Strapazen der Reise durch Kenia erholt, bevor sie ihrem Boss Bericht erstatten musste. Es waren gut zwei Wochen vergangen, bis sie auf Umwegen endlich in Nairobi angekommen war.
    Sie trug ein knappes Kleid, das um die Taille von einem breiten Gürtel gerafft wurde, und darüber eine dünne Blazerjacke. Seitdem sie aus dem Dschungel zurückgekehrt war, konnte sie ein beständiges Frösteln nicht unterdrücken. Sie war erfüllt von einer inneren Unruhe, dennoch setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, um ihre Unsicherheit zu überspielen.
    »Kein Stein; Blut, Meneer Vanderbuildt«, erklärte sie ihm und machte eine dramaturgische Pause. »Blut. Ein Splitter des schwarzen Löwen.«
    Ihre Finger spielten mit der glatten, durchsichtigen Oberfläche der Tischplatte. Die Stahlstreben, die die breite Fensterfront des Büros unterteilten, warfen ein bizarres
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