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Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter
Autoren: David Luckett
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auffälligen Fleck an diesem bedeckte ich mit meinem Wehrgehenk.
    Es wurde dunkel, als wir die Wachstube verließen. Wir gingen die Gerberstraße mit ihren übel riechenden Botti chen hinauf, dann durch die Walkergasse, wo es nicht viel besser roch – das Gasthaus lag am Rand des Handwer kerviertels. Der Tag ging zu Ende, und die Straßen waren nicht mehr so belebt. Außerdem mieden die Leute den Gestank, so weit es ihnen möglich war, und es war möglich, unsere Mission mit einem Kontrollgang zu verbin den. Wir gingen wegen meines Beines langsam, Silvus schräg vor mir und ich einen halben Schritt hinter ihm zu seiner Rechten. Er kontrollierte die Gassen und Durch gänge zur Linken, ich die zur Rechten. Es war eine fast selbstverständliche Tätigkeit, die uns längst in Fleisch und Blut übergegangen war. Wir sprachen nicht. Offensichtlich war Silvus noch damit beschäftigt, sich die ge eignetste Vorgangsweise auszudenken.
    Swechers Gasthaus nahm mit den Stallungen, Remisen und sonstigen Nebengebäuden mehr als die Hälfte eines Blocks ein. Vor seinem Tode hatte der alte Swecher einen Teil des weitläufigen Hofes für das Doppelte des Prei ses verkauft, den sein Großvater für die Errichtung des ganzen Gasthauses bezahlt hatte, aber es gab noch immer genug Raum, zumal die Zahl der Kutschen in der Stadt seit jener Zeit eher zurückgegangen war, weil das Gedränge der Fuhrwerke, Karren und Fußgänger auf den Straßen zu groß geworden war. Um zu verhindern, dass fremde Fuhrleute seinen Hof als Abstellplatz für ihre Wagen und Gespanne gebrauchten, hatte Swecher sogar die Hofeinfahrt mit einem verschließbaren Tor versehen, und heutzutage kehrte der Gasthof der lärmerfüllten Straße sozusagen den Rücken zu.
    Wir gingen durch den Schankraum hinein. May stand hinter der Theke und war zu beschäftigt, denn es war die Stunde nach Feierabend, und viele Leute kehrten auf dem Heimweg von der Arbeit auf ein Glas im Gasthaus ein. Wir nickten in die Runde, blickten umher und gin gen mit eingezogenen Köpfen durch die rückwärtige Tür ins Hinterzimmer. Dieses war kleiner, höher und ru higer, und gewöhnlich fand man Mutter Swecher hier hinter der Kasse, wo sie mit Falkenaugen über die Ein nahmen wachte. Ein weiterer Durchgang führte ins an geschlossene Speisezimmer.
    Mutter Swecher war da, doch wir sahen sie nicht gleich. Aber wir hörten sie.
    »Im zweiten Regal links. Drei Flaschen, kleine eckige, aus grünem Glas. Ganz oben. Ich weiß, dass wir sie hat ten, als ich im Keller aufräumte.«
    Wir spähten über den Kassentisch. Mutter Swecher war durch ihr umfängliches Hinterteil gegenwärtig, das sie uns entgegenreckte. Sie stand über die offene Falltür der Kellertreppe gebückt und rief hinunter. Mutter Swecher würde niemals etwas so Unfeines tun wie laut zu rufen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Ich vermutete, dass der Adressat Benny war, der Hofarbeiter, und meine Ver mutung wurde bestätigt. Aus der Tiefe drang ein dump fer Gegenruf. »Ich hab’s!«
    »Dann bring sie rauf.«
    Mutter Swecher richtete sich mit einem damenhaften Grunzen auf. Sie wandte sich, sah uns und hatte in einem Augenblick die wahrscheinlichen Gründe unseres Besu ches durchgespielt, zusammen mit den angemessenen Reaktionen – von verwässertem Bier (Entrüstung) über den Vorwurf, Mutter Lessings Töchtern Einlass ins Lokal ge währt zu haben (Wer, ich?) bis zum Ersuchen um eine Spende für die Witwen- und Waisenkasse der Stadtwache (Ich hab erst letzten Monat gegeben). Sie fand den richtigen Grund, und eine gewisse wachsame Erleichterung geriet in ihre Züge.
    »Fähnrich Silvus«, sagte sie, »ich fragte mich schon, wann Sie vorbeikommen würden.«
    Auch Silvus hatte ihr Mienenspiel beobachtet und he rausgefunden, was er wissen musste. »Dann ist die Dame also hier?«
    Gewöhnlich würde Mutter Swecher geantwortet haben: ›Welche Dame?‹, aber diesmal ersparte sie sich die Hin haltetaktik. Sie wusste sehr gut, dass jeder, der gepanzert und bis an die Zähne bewaffnet herumgeht, die Aufmerksamkeit der Stadtwache auf sich ziehen muss, es sei denn, der oder die Betreffende war eine Adelsperson, in wel chem Fall sie aber nicht allein gegangen wäre. Dass es sich um eine Frau handelte, vermehrte nur das Interesse.
    In diesem Augenblick kam Benny staubbedeckt aus dem Keller gestiegen. Er trug drei große, gedrungene Flaschen, deren Korken mit Wachssiegeln versehen wa ren, und musste sich durch die Öffnung zwängen, um nicht mit den
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