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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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vorstellen. Es ist doch immer gut, wenn etwas überstanden ist.
    Ab und zu lädt sie mich ein, ins Restaurant oder ins Theater. Es kostet mich allerlei, das durchzustehen. Zwischen diesen vielen Menschen zu sitzen, so dicht bei ihnen, daß ich höre, was sie sagen, ist eine Belastung. Einmal, als Runi einen runden Geburtstag hatte, waren wir im Hannes Køkken. Das ist schon lange her. Wir hatten einen Tisch neben zwei jüngeren Frauen, jünger als wir, meine ich, aber durchaus erwachsen. Sie heulten und schrien und kicherten wie die Backfische. Und sie tranken zuviel. Irgendwann ging mir auf, daß wir es mit Bordsteinschwalben zu tun hatten. Ich bin ja keine Idiotin. Teile ihres Gesprächs kann ich nicht wiedergeben, so übel war es. Schlimm, sie so dicht bei uns zu haben. Nicht weglaufen zu können. Runi arrangiert alles, wenn wir etwas unternehmen wollen. Manchmal bin ich richtig gerührt. Wenn ich ihre Stimme am Telefon höre, wenn sie fragt, ob ich mitkomme, ihre Angst, ich könnte ablehnen. Sie hat sonst niemanden. Das Leben ist für keinen Menschen leicht.
    Sollte ich jemals vor Gericht stehen, würden sie mich sicher als für im Augenblick der Tat unzurechnungsfähig erklären. Aber das war ich nicht. Ich kann mich an alles erinnern, also muß ich doch zurechnungsfähig gewesen sein, oder? Und Sie sehen ja, daß ich zusammenhängend denke und den Überblick behalte, oder? Daß ich normal entwickelt bin und daß mit meinen geistigen Fähigkeiten alles in Ordnung ist? Davon bin ich überzeugt.
    Ich habe eine Plastikplane über die Leiche gezogen. Ich will ihn nicht wegschaffen, wie sollte ich das anstellen? Er wiegt ziemlich viel, ich könnte ihn höchstens in eine Ecke ziehen. Ich habe einen alten Kartoffelsack vor das Fenster gehängt. Unter der Decke hängt eine kahle Glühbirne. Er liegt auf dem Rücken, die Arme ausgestreckt. Er ist nicht mehr schön. Wie oft habe ich schon gesagt, daß körperliche Schönheit ein flüchtiges Geschenk ist. Ich selbst habe nicht viel zu verlieren. Ich weiß, daß ich häßlich bin. Niemand hat das je ausgesprochen, aber ich sehe es den Leuten an, wenn ich einen Blick auffange; sehe den toten Ausdruck, den sie für mich übrig haben. Warum machst du nicht mehr aus dir, fragt Runi empört. Es beunruhigt sie, daß ich mich nicht widersetze. Sollen doch die jungen Leute in Ruhe glatte Haut haben, so sehe ich das. So wie Andreas, der ist jung und glatt. Jetzt natürlich nicht mehr. Ich denke viel an ihn. Er ist nicht vergessen. Er wird niemals vergessen sein. Was mich betrifft, bin ich mir da sicher.
     
    Andreas rauchte Craven. Nicht Prince oder Marlboro wie die anderen. Wenn er keine Zigaretten mehr hatte, ging er zum Kiosk, beugte sich vor und sagte: »Craven.« Und die Leute hinter dem Tresen nickten und suchten die Regale ab. Die Marke wurde nicht oft verlangt. Überall zog er Aufmerksamkeit auf sich, doch wenn sie ihm zuteil wurde, wollte er sie nicht mehr haben. Zipp wußte, daß er selbst eher zufällig reagierte, sich nicht strukturiert verhielt. Er nahm auch keine Unterschiede wahr. Zwischen Prince und Marlboro. Zwischen Cola und Pepsi. Das Etikett verriet ihm, was er vor sich hatte. Er hätte gern gewußt, ob andere logen oder ob sie das wirklich merkten. Vielleicht log Andreas. Auf den war nicht hundertprozentig Verlaß. Das war eine Seite von Andreas, über die er sich wunderte. Da fehlte etwas. Er sagte nie: Letztes Jahr, oder: Am vergangenen Samstag, oder: Scheiße, Zipp, weißt du, was gestern passiert ist? Er sprach nie über die Vergangenheit. Immer nur über die Gegenwart oder die allernächste Zukunft. Und so schrecklich war die Vergangenheit nicht, daß man nicht darüber hätte sprechen können. So war das nicht. Das wußte Zipp. Sie waren seit elf Jahren befreundet. Aber daß Andreas einmal sagte: Weißt du noch, damals? Nein, das kam nicht vor.
    »Im Jahr 2019«, sagte Andreas, »dann sind wir neununddreißig. Hast du dir das schon mal überlegt?«
    Zipp zuckte mit den Schultern. Das hatte er nicht, und nachrechnen mochte er nicht, aber es stimmte sicher. Fast vierzig.
    »Ja und?«
    Andreas blickte nach draußen. »Dann haben die Menschen andere Planeten eingenommen. Alle Tiere sind ausgerottet. Die Luft ist tödlich verdreckt, und die ersten künstlichen Menschen leben unter uns, ohne daß wir es mitkriegen.«
    »Du schaust zu viele Videos«, sagte Zipp. »Wir brauchen Geld, Mann!«
    Andreas las vor, was auf einem Reklameplakat an einer der Hausmauern
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