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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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Wußte, daß er nicht an sie dachte, das hätte sie gespürt. Leise ging sie zu ihm hinüber. Er riß sich zusammen, fand zurück in seine Pose. Aber sie hatte ihn gesehen, ohne sein Wissen. Und das gefiel ihm nicht. Sie wollte ihm sagen, daß es keine Rolle spiele. Lächelte kurz und streichelte seine Wange. Doch als sie seine Haut spürte, konnte sie plötzlich nicht mehr aufhören. Seine Wangenknochen waren hoch und schmal und zeichneten sich deutlich unter der weißen Haut ab. Er drehte sich nicht weg. Stand reglos da und ließ sich von ihr streicheln. Das Licht der Lampe links neben ihnen war grell und für die Arbeit gedacht. Sie sah noch die kleinste Pore in seiner Haut und die dünnen Adern an seinen Schläfen. Die Lider wie Seidenpapier. Seine Haut roch nach Haut, seine Haare nach Haaren. Er fügte sich, ließ ihr ihren Willen. Ihr Körper hatte lange geschlafen. Sie war überwältigt von alldem, was da erwachte, was sickerte und strömte. Sie hätte sich dem gern ergeben, auf Leben und Tod geliebt, geschrien und gekratzt. Riß sich aber zusammen. Sie wollte ihm keine Angst einjagen, ihn nicht vertreiben. Später, als er gegangen war, kam sie wieder zu sich. Ihm fehlte die Glut. Dabei hatte sie gedacht, die Leidenschaft müsse sich überschlagen, wo er doch so jung war. Irgendwo mußte sie verborgen sein, doch sie fand sie nie. Trotzdem machten sie weiter. Immer, wenn sie mit der Arbeit fertig war, schliefen sie miteinander. Kein einziges Mal ergriff er die Initiative, das war ihre Aufgabe. Das Bild darf nie fertig werden, dachte sie. Ohne sich zu schämen. Sie waren erwachsene Menschen. Im tiefsten Herzen hoffte sie, daß er vor seinen Freunden damit prahlte.

 
    I ch verkaufe in einem sehr respektablen Geschäft Vorhänge, Bettzeug und Stoff. Um fünf bin ich zu Hause. Den Rest des Tages pussele ich herum. Fast niemand kommt her, ein seltenes Mal meine Freundin oder vielleicht mein Sohn. Ingemar. Ich höre mir höflich an, was er zu sagen hat. Nie lädt er mich zu sich oder sonstwohin ein, das wäre zu schwer für uns. Seine Besuche sind eher eine Pflichtübung, eine Veranstaltung, bei der wir uns gegenseitig kontrollieren. Uns vergewissern, daß alles in Ordnung ist. Es tut gut, bei der Arbeit ab und zu sagen zu können, daß Ingemar zum Kaffee bei mir war. Es klingt so beruhigend richtig. Geselligkeit, Umgang mit anderen Menschen, ihren Geruch wahrnehmen oder wissen, daß sie meinen registrieren, das wäre mehr, als ich ertragen könnte. Ich gehe in regelmäßigen Abständen einkaufen und besorge, was ich brauche. Das ist alles. Ab und zu gehe ich in die Bücherei und leihe Biographien aus. Oder ich blättere in Zeitungen. Das kostet ja nichts, wissen Sie. Ich gehe gegen Feierabend hin, dann ist es still, nie muß man an der Ausleihe warten. Der Bibliothekar sieht traurig aus. Es ist sicher hart, alles lesen zu müssen.
    Mit den Nachbarn spreche ich nicht. Wenn sie mir über den Zaun hinweg etwas zurufen, antworte ich, gehe aber gleich weiter. Ich bin nicht unglücklich, aber auch nicht glücklich. Ich kenne keinen Menschen, der glücklich ist. Der Arzt, den ich einmal im Jahr aufsuche, behauptet, ich hätte eine Gesundheit wie ein Pferd. Das klingt jedesmal wie eine Ermahnung, und ich weiß, worauf er hinauswill, aber er versteht das nicht. Und ich mag es nicht erklären. Er will mir nichts Böses, er verstellt sich nicht, er sitzt nur da und sieht mich an. Will mir etwas klarmachen, hat aber nicht die Kraft dazu.
    Menschen sind schwierig. Es ist leichter, Dinge zu lieben oder Tätigkeiten – oder Tiere vielleicht, aber die riechen so streng und haaren oder tun noch Schlimmeres. Abends mache ich meinen Haushalt. Ich putze und räume auf und wische Staub, überall ist es sauber. Am Ende gebe ich einen Spritzer Chlorin in jeden Abfluß. Das tötet Bakterien und Gerüche. Hinter dem Haus habe ich einen schönen Garten mit einem kleinen Gartenhaus. Wenn ich im Sommer draußen sitze, stelle ich einen Leinenschirm auf. Sollte jemand hinter der Hecke stehen und glotzen, bleibe ich auf jeden Fall unsichtbar. Nicht, daß ich im BH dort säße, auf solch eine Idee würde ich gar nicht kommen, aber ich mag diesen geschlossenen Raum. Ich habe niemals jemandem etwas getan. Habe keine großen Ansprüche gestellt, war nie unbillig. Ich hinterziehe keine Steuern, ich stehle nicht im Laden, ich bezahle alle Rechnungen einen oder zwei Tage vor Ablauf der Frist. Samstags trinke ich manchmal einen Schluck Wein, aber nie
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