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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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Ronnie«, sagte er. »Sonst bist du immer um neun nach acht hier. Jetzt ist es elf nach.«
    Stirnrunzelnd blickte ich hoch. »Woher wissen Sie, wie ich heiße?«
    Der Mann lächelte ein Guter-Holzfäller-Lächeln. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Deine Mutter ist Stadtgespräch. Jeder hier weiß, wer du bist. Wir beobachten dich seit Wochen beim Laufen.«
    Wenn er nicht so einen ehrlichen Eindruck gemacht hätte, hätte ich es vielleicht mit der Angst zu tun bekommen. Aber er machte ja einen ehrlichen Eindruck, also beschloss ich, noch mal ein Auge zuzudrücken. Wahrscheinlich war er bloß neugierig.
    Er sprach weiter: »Ranger Dave sagt, du hast eine gute Kondition, bist aber faul. Was meinst du, was das hier ist? Ein Spaziergang?« Er lachte über sein lahmes Witzchen.
    »Wer ist Ranger Dave?«, fragte ich. Ich hätte noch anhängen sollen: Und was interessiert es ihn, ob ich faul bin? Damals wusste ich noch nicht, dass er fast genauso berühmt war wie Mom. Nicht nur, weil er als Ranger im Licht der Öffentlichkeit stand, sondern weil er seinerzeit selbst ein Weltklasseläufer gewesen war – er hatte sogar an der University of Oregon mit dem berühmten Langstreckenläufer Alberto Salazar trainiert – und weil er nun als Leichtathletik-Trainer an der Hoodoo High School arbeitete.
    Mr Armstrong schien meine Frage nicht zu hören. »Karen!«, rief er. »Komm mal her und begrüß deine Retterin.«
    Erst da bemerkte ich die Kinder, die im Garten herumrannten und etwas spielten, bei dem sich alle wie ein Rudel Hunde auf den stürzten, der den Ball hatte.
    Von ganz unten aus dem Kinderhaufen krabbelte das kleine Mädchen hervor, wegen dem ich in der vergangenen Woche stehen geblieben war. Sie trug leichte, aber robuste Kleidung, ein T-Shirt und eine kurze Hose. Auf ihrem T-Shirt war ein Motiv mit gescheckten Pferden, diean einem Zaun vorbeigaloppierten. Von ihrer Statur her sah sie aus, als hätte sie einen Schuss in die Höhe gemacht und müsste in der Breite noch aufholen. Ihre Knie waren knubbelig und berührten sich, wenn sie rannte, und ihre Ellbogen standen hervor wie Hühnerknochen. Sie hatte braune, auf eine Länge geschnittene Haare, die mich an einen Typen aus einer Sechzigerjahre-Band erinnerten. Einen
Beatle
. Einen
Monkee
. Einen von
The Who
.
    »Zeig ihr mal dein Gesicht, Schatz«, sagte Mr Armstrong. Karen schob ihren Pony zur Seite. Zum Vorschein kam ein großes schiefes Kreuz aus Klammerpflastern. Keine Stiche. Nichts als diese dünnen, transparenten Pflasterstreifen, die – tut mir leid – einfach danach schrien, abgeknibbelt zu werden.
Ich
hätte mit zehn Jahren meine Finger nicht davon lassen können. Mal ehrlich, hätte man mich so zugepflastert, würde meine Wunde jetzt nur so triefen.
    »Jucken die?«, fragte ich.
    »Nur wenn ich dran denke«, sagte sie und ließ ihren Pony wieder in die Stirn fallen. »In der Schule und so. Aber hier, wo man so viel machen kann, nicht.«
    Ich sah sie verständnislos an. »Du machst Witze. Hier?«, rutschte es mir heraus. Hier gab es
nichts
, was man machen konnte – das heißt, nichts außer laufen. Es war so langweilig, dass man sich an dünnes Bier gewöhnen und mit einem Typen ausgehen wollte, der Kautabak im Mund hatte.
    Doch Karen sah mich mit ihren braunen, vor Begeisterung leuchtenden Augen an. »Heute Morgen hat KevinKojotenspuren gefunden. Das war so toll. Kojoten kommen normalerweise nicht so nah an Häuser heran. Komm mit gucken!«, sagte sie und legte ihre Finger in meine Hand.
    Ihre Hand war heiß und schmutzig und voller Schwielen. Die Hand eines Kindes, dem es nichts ausmachte, nach Würmern zu buddeln. Und doch ließ ich sie nicht los.
    Mr Armstrong zog ihren Arm weg und tätschelte ihr den Kopf. »Na, na, Karen. Was haben wir besprochen? Ronnie muss ihre Zeit verbessern, wenn sie ins Crossteam will.«
    Hatte ich richtig gehört?
    »Ich will nicht beim Crosslauf antreten. Ich laufe nur so.«
    »M-hm.« Mr Armstrong musterte mich kritisch. »Ich sag dir was: Von hier bis zur Forststation ist es eine Meile. Versuch mal, das in neun Minuten zu schaffen. Ist zwar langsam, aber immerhin ein Anfang.«
    Halt dich raus
, dachte ich.
Ich lauf so langsam, wie ich will
. Zum Glück sagte ich es nicht laut. Was auch immer hier ablief, der Kerl dachte, er täte mir einen Gefallen, wenn er mich auf meine Fehler hinwies. Ich mochte es zwar nicht, belehrt zu werden, aber er hatte mich angestachelt.
    »Ach ja, die Beeren«, sagte er und nahm mir den Eimer
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