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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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Sweatshirttasche wieder ein. Warum hatte ich nicht eher daran gedacht? Ich hielt es ihm hin, zu benommen, um auch nur die Tasten zu drücken.
    »Dann mach es jetzt«, sagte er und rannte vor mir die Veranda hinunter.
    Mein Herz beruhigte sich ein wenig und ich fand meine Stimme wieder. »Hast du einen Erste-Hilfe-Kasten? Sie lag schon eine Weile im Fluss.«
    Ich erklärte nicht, wer, aber das musste ich auch nicht. Ich sah, wie Ranger Daves Gesicht Feuer fing und innerhalb von Sekunden zu Asche wurde. »Ruf an«, sagte er scharf.
    Er holte seinen Verbandskasten und stürzte hinter mir her, während ich mit der »Um was für einen Notfall handelt es sich«-Stimme sprach. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe oder was sie gesagt hat, nur dass ich dauernd mit ›Ma’am‹ angesprochen wurde.
    Als wir zum Uferdamm kamen und ich zu Karen hinunterlaufen wollte, hielt Ranger Dave mich zurück. »Bleib hier«, sagte er.
    Ich dachte:
Warum? Ich hab es doch sowieso schon gesehen. Ich hab doch schon mit den Fingern in ihrem kalten, schleimigen Mund herumgefischt
. Aber ich gehorchte und sah zu, wie er zu ihr hinunterkletterte.
    Er lief einmal im Kreis um sie herum, ging dann in die Hocke und legte ihr zwei Finger an den Hals, um ihr den Puls zu fühlen.
    »Ich konnte die Schlagader nicht finden«, rief ich hinunter. »Und soll man bei jemandem, der noch so klein ist, mit dem Handballen oder nur mit drei Fingern aufs Brustbein drücken? Hoffentlich hab ich ihr keine Rippe gebrochen.«Doch anstatt Karen wiederzubeleben, zog Ranger Dave ihr meine Regenjacke, mit der ich sie zugedeckt hatte, übers Gesicht. Dann setzte er sich wieder auf die Fersen, sah zu mir hoch und schüttelte den Kopf.
    »Komm«, sagte ich bettelnd. »Du kriegst alles wieder zum Leben. Ich hab’s doch selbst schon gesehen.
Mach was!
«
    Er kletterte wieder zur Straße herauf. »Ronnie«, sagte er und packte mich fest an den Schultern. »Es tut mir leid.«
    Ich wand mich los. Er hatte den feuchten, glasigen Blick von jemandem, der mich gleich in den Arm nehmen würde, und das wollte ich nicht. Wenn er mich in den Arm nähme, dann würde es irgendwie wahr werden, und ich war noch nicht zum Aufgeben bereit.
    »Das kann nicht sein«, sagte ich. »So was würde Karen nie passieren. Sie kennt doch jeden Stein!«
    »Der Fluss ist launisch, Ronnie«, sagte Ranger Dave. »Man kann ihm nicht trauen.«
    Ich blickte auf den am Ufer liegenden Körper hinab. Und auf einmal traf mich das ganze Grauen mit einem Schlag: Sie war verloren.
    Ich fing an zu zittern, dann zu schniefen. Mir lief so sehr die Nase, dass ich nicht alles wieder hochziehen konnte und es schließlich aufgab. Bald darauf versuchte ich auch nicht mehr, das Zittern zu unterdrücken, und heulte hemmungslos.
    Ich überließ mich Ranger Daves regenfeuchter Umarmung. Doch selbst da wünschte ich mir noch, er würde mich in Ruhe lassen. Ich wollte einfach nur zu Boden sinkenund mich zusammenrollen. »Du verstehst das nicht«, sagte ich in seinen Morgenmantel. »Wem soll ich jetzt folgen? Ihr kann ich nicht folgen. Nicht durch das hier.«
    Ich wusste, das war nicht das, was ich hätte sagen sollen, aber ich konnte nicht anders.
Ich, ich, ich
. Was sollte jetzt aus
mir
werden? Mein Egoismus ließ mich nur noch mehr weinen. Karen hatte eine bessere Freundin verdient.
    »Schhh«, sagte Ranger Dave immer wieder und strich mir über den Rücken. »Ich weiß ja. Ich weiß.«
    Dann hörten wir eine Sirene. Zwei Sirenen. Ein ganzes Orchester. Ein Krankenwagen kam. Ein Wagen der Santiam County Polizei hielt schlitternd an. Sheriff McGarry persönlich stieg aus und kletterte das Ufer hinunter. Sie war eine schlanke Frau in den Dreißigern mit perfekten kastanienbraunen Haaren, ganz glatt, und manchmal grüßte sie, wenn ich vorbeilief. Wenn man sie in Zivil sah, konnte man sie für harmlos halten, für jemanden, mit dem man einen netten Abend verbringen konnte, aber wenn sie besoffene Autofahrer rechts ranfahren ließ, wurde sie zum Grizzly. Ich hab mal gesehen, wie sie sich einem Betrunkenen näherte, der aus
Phil’s Tiki Hut
kam und versuchte, mit seinem Autoschlüssel das Türschloss seines Chevys zu erwischen. »Sir, treten Sie bitte vom Wagen zurück, Sir?« Als er sie abwimmeln wollte, wirbelte sie ihn mit einer einzigen Bewegung herum und legte ihm Handschellen an. Ganz gleich, womit sie es zu tun hatte, ich hatte sie noch nie aufgewühlt erlebt.
    Bis heute.
    Sie nahm die Finger von Karens Hals. »Verflucht,
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