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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage
Autoren: Gunnar Kunz
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blieb, weil sie sich keinen Fahrschein für die Bahnen leisten konnten.
    „Ich wusste, der Alte hat sein Arbeitszimmer im Seitenhaus. Jeder weiß das. Es stand mal was über ihn inner Zeitung. Da gibt’s ’n eigenen Eingang, zu dem bin ich hin. Es war offen.“
    „Ist Ihnen irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen? Haben Sie jemanden gesehen oder ein Geräusch gehört, das auf die Anwesenheit einer weiteren Person hindeutete?“
    „Nee. Ich bin also ’rein. Wie ich zum Arbeitszimmer komme, seh’ ich die Leiche. Ich … ich war vollkommen durcheinander. Ich dachte, ich wär’ zu spät gekomm’, und außerdem … ich hab’ mich geschämt.“
    „Geschämt?“
    „Dass ich nich’ fähig war, meine Familie vor so’m Schweinehund zu schützen, wo meine Frau den Mut dazu aufbrachte.“ Seine Gedanken verloren sich in der Ferne. „Sie war mal richtig hübsch. Ich weiß, Sie könn’ sich das nich’ vorstell’n, weil sie von der vielen Arbeit so kaputt is’. Aber sie war das hübscheste Mädchen inner Straße. Als ich vor der Leiche gestanden hab’, hab’ ich mich plötzlich so mies gefühlt … weil ich ihr kein besseres Leben geben konnte … weil ich ihr nich’ das Leben geben konnte, das ich ihr mal versprochen hab’.“
    Hendrik war froh, dass sein Bruder dem Mann die Zeit ließ, sich die lange in der Brust eingeschlossenen Gefühle von der Seele zu reden.
    „Ich hab’ immer gewusst, dass sie ein Segen für mich is’. Allein wie sie das Geld zusamm’hält. Ich weiß nich’, wie sie das macht, bei dem bisschen, das ich nach Haus’ bringe. Wenn sie nich’ was dazuverdien’ würde, und Anton und Helene auch, dann wüsst’ ich nich’, was werden soll.“ Er starrte vor sich auf den Tisch und seine hilflos geballten Fäuste.
    „Was haben Sie dann gemacht?“
    „Ich konnte mich erst gar nich’ rühr’n. Dann hab’ ich kapiert, was ich tun muss. Jetzt keine Panik, hab’ ich mir gesagt. Zuerst hab’ ich gekuckt, ob der Mann wirklich tot is’, klar, da war nix mehr zu machen. Dann hab’ ich gedacht, ich muss seh’n, ob Barbara keine Spuren hinterlassen hat.“ Die Art, wie er ihren Namen aussprach, verriet eine Zärtlichkeit, die man bei ihm nicht vermutete.
    Hendrik hatte eine Eingebung. „Dabei haben Sie den Schuldschein entdeckt.“
    „Er lag ganz offen auf’m Schreibtisch. Als hätte das Schicksal ihn für mich hingelegt. Ich meine, der Mann war tot. Wahrscheinlich wusste keiner sonst davon. Und wenn schon – ohne den Schuldschein konnte uns niemand was. Wir hätten weiter inner Wohnung bleiben könn’. Er war sowieso tot“, wiederholte er trotzig.
    „Ich verstehe nur nicht, weshalb Sie nicht auch den Brief mit vernichtet haben.“
    „Brief? Welchen Brief?“
    Offenbar hatte Barbara Broscheck den Bittbrief ohne Wissen ihres Mannes geschrieben. So konnte der auch nicht ahnen, dass die Polizei auch ohne den Schuldschein genug Gründe hatte, sie in den Kreis der Verdächtigen einzubeziehen.
    Gregor überging das Thema. „Was haben Sie mit dem Schuldschein gemacht?“
    „Zerrissen und verbrannt.“
    „Und dann?“
    „Bin ich nach Haus. Unterwegs hab’ ich immer nach Barbara gekuckt, aber sie war nirgends zu seh’n. Sie kam erst eine ganze Weile nach mir an. Sie war ja zu Fuß. Ich … ich hab’ nix gesagt. Ich wusste nicht: Hat sie es nun getan? Ich hab’ sie beobachtet, und sie war auch irgendwie komisch, aber ich hab’ nix gesagt. Dann kamen Sie, und da war ich mir sicher, dass sie’s getan hat.“
    „Abgesehen vom Schuldschein – haben Sie irgendwas im Raum verändert?“
    „Nee.“
    Gregor trommelte geistesabwesend mit den Fingern auf seinem Schreibtisch, dann nickte er. „Gut. Ich lasse Sie erst einmal in Ihre Zelle zurückbringen.“
    Curt Broscheck wirkte beinahe demütig, als er sich erhob. „Könnten Sie meiner Frau … könnten Sie ihr sagen, dass …“, setzte er an, doch er fand nicht die richtigen Worte, und so schüttelte er schließlich bloß den Kopf und folgte dem Kommissar wie ein geprügelter Hund.
    „Nun?“, fragte Gregor, als er zurückkam.
    „Ich glaube ihm“, erwiderte Hendrik.
    „Ich auch. Womit wir wieder am Anfang stehen.“
    „Nicht ganz. Immerhin können wir, wenn wir von der Hypothese ausgehen, dass die Broschecks diesmal die Wahrheit gesagt haben, einige Ungereimtheiten als nicht zum Mord gehörig ausschließen. Das Fehlen des Schuldscheins, zum Beispiel. Es erklärt darüber hinaus die Spuren vom Tatort unter den Schuhsohlen. Und es
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