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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Autoren: Nuala O'Faolain
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die kleinen Straßen und die Geschäfte und die Straßenlaternen, überhaupt alles. Ist das denn zu fassen? Heute hat Markey es mit mir besichtigt. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Stell dir doch nur vor, Rosie, es würde zwei Kilbrides geben, übereinander. Aber es war eine endlos lange Wanderung.«
    »Typisch Markey«, sagte ich. »Ich bin Hunderte von Meilen hinter diesem Mann hergelaufen.«
    »Und er ist so gebildet!«, fuhr Min fort. »Es war wie im Fernsehen. So ein schlaues Superhirn, das muss er von seinem Vater haben. Seine Mutter war nämlich gehirnmäßig keine Leuchte, auch wenn sie noch so nett war. Billy ist ganz ähnlich wie Markey, aber er ist eher still. Er hat dafür gesorgt, dass es Luz besser geht. Es geht ihr noch nicht wieder so gut wie vor dem Brand, ehrlich gesagt, aber lange dauert’s bestimmt nicht mehr, bitte, bitte, lieber Gott. Ich habe ihr feierlich versprochen, dass wir runterfahren zur Grenze und einen Blick nach Mexiko rüberwerfen, sobald sie sich das zutraut. Möchtest du mitkommen, Rosie? In Amerika gibt’s kein richtiges Weihnachten, weil sie hier alle Protestanten sind, aber in Mexiko sind die Leute katholisch, sogar die Indios. Luz hat mir das alles erklärt. Wir könnten ein tolles Weihnachtsfest feiern. Und du kannst uns helfen. Luz und ich, wir dürfen doch beide nicht rüber nach Mexiko, aber für dich wäre es ja kein Problem – du könntest die Enkel an die Stelle bringen, an der Luz sie schon mal gesehen hat. Da gibt es eine riesige Röhre unter der Wüste, ich weiß auch nicht genau, wo es ist, und Luz’ Tochter hat die Kinder in diese Röhre geschickt, damit sie rüberkommen – sie hat ihnen rote Schleifen
um den Hals gebunden, damit Luz sie erkennt. Sie liefen einfach zum Ende dieser Röhre, bei irgendeiner Klippe, und haben ihr zugewinkt, und dann sind sie wieder zurückgegangen. Wenn die Kinder wieder kommen, werfen wir ihnen die Weihnachtsgeschenke runter.«
    »Ich muss schon sagen, Min, das klingt, als würdest du spannende Abenteuer erleben.« Etwas Besseres fiel mir nicht ein. Ich war sprachlos, weil sie mich eingeladen hatte, zu ihnen zu kommen.
    »Ja, das stimmt«, erklärte sie stolz. »Ich habe eigentlich etwas gegen Abenteuer – man muss sich ja nur anschauen, was aus meiner Schwester geworden ist. Aus deiner Mutter. Sie ist weggegangen, weil sie Abenteuer erleben wollte – du hättest sie sehen sollen, wie sie gelächelt hat, als sie mir vom Bus aus gewinkt hat. Und als Nächstes kommt der Priester und sagt, sie braucht diese Bestätigung von der Kirche, dass sie noch nicht verheiratet ist. Damit sie sich dann in Dublin kirchlich trauen lassen kann. ›Geben Sie ihr die Bestätigung nicht‹, hat mein Vater zum Priester gesagt. ›Sie soll heimkommen und einen der Jungen von hier heiraten.‹ – ›Aber ich muss sie ihr geben‹, hat der Priester geantwortet. ›Sie ist alt genug. Und sie will eine Familie gründen.‹ Und als Nächstes sehe ich den Priester wieder durch den Schnee zu uns kommen, und diesmal ist sie tot.«
    »Das hat nichts mit Abenteuern zu tun«, entgegnete ich. »Es hat etwas damit zu tun, dass die Männer die Welt regiert haben. Jeder kleine Angeber hat gedacht, er kann Mädchen und Frauen herumkommandieren, wie dein Vater zum Beispiel …«
    »Mein Vater war kein kleiner Angeber!«, protestierte Min. »Er war ein guter Mensch. Überleg doch nur, wie lange er auf mich gewartet hat. Und auf dich.«
    »Was heißt das, er hat gewartet? Wo?«
    »Du hast es doch in dem Brief von der Regierung gelesen«, antwortete sie. »Die Termine, die da genannt werden. Da steht
es Schwarz auf Weiß, dass er gewartet hat. Er ist in dem Haus geblieben. Erst Ende 1948 hat er aufgegeben. Und du bist im September 1947 auf die Welt gekommen. Er hat gewartet. Er hat zu mir gesagt, ich soll dich mitnehmen. Ich musste ihm schwören, dass ich dich nach Hause bringe.«
    »Und warum hast du’s nicht getan?«
    Sie antwortete nicht.
    »Sag doch – warum hast du das nicht getan, Min?«
    Ich wartete, und sie schwieg und schwieg.
    Da wusste ich Bescheid.
    Und obwohl sich auf meinen Lippen Wörter bildeten, sagte ich nichts mehr dazu.
    Eines Tages würde ich es ansprechen. Eines Tages würde ich sie fragen, wie es war, als sie und mein Vater mit seinem Motorrad zum Milbay Point fuhren und in der Scheune übernachteten. »Wie habt ihr euch gewärmt?«, würde ich sie fragen.
    Min schwieg immer noch. Sie musste wissen, dass ich gehört hatte, was sie mir nicht
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