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Dunkle Herzen

Dunkle Herzen

Titel: Dunkle Herzen
Autoren: Nora Roberts
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Riesenrad hatte Bobby sie dann geküßt und ihre Hand gehalten.
    Die Ereignisse standen ihr wieder so klar und deutlich vor Augen, daß sie den Verkehrslärm von Manhattan nicht mehr zur Kenntnis nahm und statt dessen die leisen Geräusche eines Sommers auf dem Land zu hören glaubte.
    Sie war sicher gewesen, daß ihr Vater auf sie warten würde. Als sie Arm in Arm mit Bobby fortgegangen war, hatte sich ein Schleier über seine Augen gelegt. Clare hoffte, daß sie später wieder mit ihrem Vater auf dem alten Gartentor beisammensitzen und sich unterhalten konnte, wie sie es oft taten, während Nachtfalter gegen die gelben Lampen prallten und die Grillen im Gras zirpten. Schließlich wollte sie ihm von ihrem Abenteuer berichten.
    Ihre Turnschuhe verursachten nicht das geringste Geräusch auf dem schimmernden Holz, als sie die Treppe hinaufstieg. Sogar heute noch, Jahre später, erinnerte sie sich an die kribbelnde Erregung, die sie verspürt hatte. Die Schlafzimmertür stand offen, und sie spähte hinein und rief seinen Namen.
    »Daddy?«
    Im Schein des Mondlichts konnte sie erkennen, daß das Bett ihrer Eltern noch unberührt war, also drehte sie sich um und ging in den dritten Stock. Oft arbeitete der Vater noch spät abends in seinem Büro. Oder er trank spät abends in seinem Büro. Rasch verdrängte Clare diesen Gedanken. Wenn er getrunken hatte, würde sie ihn überreden, mit hinunterzukommen, ihm einen Kaffee machen und ihm gut zureden, bis der gehetzte Ausdruck, der seit einiger Zeit ständig in seinen Augen stand, verschwand. Bald würde er wieder lachen und den Arm um ihre Schulter legen.
    Unter seiner Bürotür schimmerte noch Licht. Zuerst klopfte sie an, eine festverwurzelte Gewohnheit, denn obwohl sich die Familienmitglieder so nahestanden, respektierten sie dennoch die Privatsphäre des einzelnen.
    »Daddy? Ich bin wieder da!«
    Daß die erwartete Antwort ausblieb, irritierte sie. Zögernd blieb sie stehen, und aus irgendeinem unerklärlichen Grund spürte sie das dringende Bedürfnis, sich umzudrehen und wegzulaufen. Sie hatte einen kupferartigen Geschmack im Mund; ein Zeichen von Angst, das sie jedoch nicht zu deuten wußte. Sie trat sogar einen Schritt zurück, ehe sie das Unbehagen abschüttelte und nach der Türklinke griff.
    »Dad?« Sie konnte nur beten, daß sie ihn nicht betrunken schnarchend hinter seinem Schreibtisch zusammengesunken vorfinden würde. Die Vorstellung ließ sie die Klinke fester packen; Ärger stieg in ihr hoch, da sie fürchtete, er würde ihr den schönsten Abend ihres Lebens durch seinen Whiskeykonsum verderben. Er war ihr Vater, und als solcher hatte er für sie da zu sein und sie nicht zu enttäuschen. Entschlossen stieß sie die Tür auf.
    Zuerst war sie ein bißchen verwirrt. Obwohl das Licht in dem umgebauten Dachgeschoß brannte und der große tragbare Ventilator die heiße Luft durcheinanderwirbelte, war der Raum leer. Als sie den strengen, säuerlichen Whiskeygeruch wahrnahm, rümpfte sie angewidert die Nase. Glassplitter knirschten unter den Sohlen ihrer Turnschuhe. Vorsichtig stieg sie über die Überreste einer Flasche Irish Mist hinweg.
    War er weggegangen? Hatte er die Flasche geleert, sie beiseite geworfen und war dann aus dem Haus getorkelt?
    Ihre erste Reaktion war ein heftiges Schamgefühl; von der Art, wie es nur Teenager empfinden können. Wenn ihn nun jemand in diesem Zustand sah, einer von ihren Freunden oder dessen Eltern! In einer Kleinstadt wie Emmitsboro kannte jeder jeden. Nicht auszudenken, wenn jemand mitbekam, wie ihr Vater betrunken die Straße entlangschwankte!
    Den kostbaren Elefanten – ihr erstes Geschenk von einem Verehrer – fest an sich gepreßt, stand sie mitten im Raum unter der Dachschräge und fragte sich verzweifelt, was sie nun tun sollte.
    Wenn doch nur die Mutter zu Hause gewesen wäre, dachte sie mit aufkeimendem Zorn. Wäre die Mutter zu Hause gewesen, dann wäre der Vater nicht allein fortgegangen. Sie hätte ihn beruhigt, zur Vernunft gebracht und dann ins Bett gesteckt. Und Blair war mit seinen albernen Freunden zum Zelten gegangen, hockte jetzt vermutlich am Lagerfeuer, trank Budweiser und las Playboyhefte.
    Auch sie selbst war ausgegangen und hatte ihn allein gelassen, dachte sie, ob ihrer Unschlüssigkeit den Tränen nah. Sollte sie hierbleiben und warten, oder sollte sie ihn suchen gehen?
    Ihn suchen gehen. Ihr Entschluß stand fest. Sie ging zum Schreibtisch hinüber, um die Lampe auszuschalten, dabei knirschte
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