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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2
Autoren: Elin Hirvi
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selbst nicht lassen, oft in Streit zu geraten. Bei jeder Kleinigkeit waren sie anderer Meinung. Darüber hinaus fanden sie zu einer Art der Harmonie. Nur William sah Ramis sehr selten. Ab und an trafen Briefe ein. Irgendwann musste er die karibischen Gewässer doch verlassen und zog nach Indien. Als er älter wurde, stieg er in den Handel ein.
    "Es i st der Markt der Zukunft", teilte er ihr kurzangebunden mit. "Ich mache ein Vermögen."
    Er gab die Piraterie auf und unterhielt nur noch einige Freibeuterschiffe, die sich allerdings sehr bedeckt halten mussten, weil die meisten Handelsschiffe stark bewacht waren. In Indien hatte er eine vornehme junge Dame geheiratet und hatte nun eigene Kinder. Was aus Fannys Kind geworden war, fand Ramis nie heraus, selbst als sie mehrere Kloster besuchte und nach Kindern fragte, die damals gebracht worden waren. William weigerte sich bis zuletzt und sagte nur, das Kind sei gut versorgt. Nun waren Ramis Kinder alle alt geworden und hatten eigene Familien, manche sogar Enkel. Ihre Mutter würde bald sterben. Aber seit James von ihr gegangen war, wartete sie darauf.
    Oft sah sie aus dem Fenster, auf das Meer hinaus, das sich nie veränderte und erwartete fast den Umriss eines Schiffes zu sehen, das ihn und ihre Jugend zurückbrachte. Die alten Mauern bargen so viele Erinnerungen, nicht nur die eigenen, sondern auch die vergessenen von allen Bewohnern. Es war so still hier drinnen. Manchmal glaubte Ramis Lachen zu hören, geschriene Wortfetzen eines Streites, das süße Flüstern einer Liebesnacht. Es war wie eine zweite Chance gewesen, als sie hierher zogen. Ramis fühlte sich unbeschwert, wie ein Mädchen, das seine erste Liebe erlebt. Sie hatten im Gras gelegen und in den Himmel geschaut, einfach zufrieden und gedankenlos.
    Ramis spürte den Wandel der Jahreszeiten wie nie zuvor, si e war ein Teil dieses Kreislaufs. Wenn sie traurig war, erinnerte sie sich an das, was James ihr in ihrer Hochzeitsnacht gesagt hatte:
    "Erinnerst du dich noch an eine Begebenheit aus deiner Kindheit? Du warst auf einem Ball in Kensington Palace. Vielleicht weißt du noch, dass du damals einem Jungen begegnet bist? Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an das Mädchen, das so verloren wirkte. Ich fragte mich, wie jemand so traurig aussehen kann. Und ich habe mich gewundert, warum du mit Edward da warst."
    "Du? Du warst das? Ich habe mir so sehr gewünscht, du würdest dableiben und mich retten! Keiner sonst schien mich zu verstehen, sich überhaupt im Mindesten für mich zu interessieren."
    Heute konnte sie fast darüber lächeln. Er war der einzige, dem sie ihre gesamte Geschichte erzählt hatte. Nur ihm konnte sie sagen, was in Maple House passiert war und ihm von ihren Ängsten und dem Entsetzen erzählen. Danach fühlte sie sich befreit.
    Beide mussten lerne n zu vergeben, dem anderen und sich selbst. Und sie mussten die Schuld akzeptieren, die sich nie mehr reinwaschen ließ. Er hatte ihr von den Menschen erzählt, die durch seine Verantwortung zu Tode gekommen waren. Wie seine Frau.
    "Ich habe wirklich etwas für sie empfunden, Ramis. Aber mit der Zeit verblasste es. Ja, ich habe sie in den Tod getrieben, weil ich sie so vollkommen ignoriert habe und ihr nur Vorwürfe gemacht habe. Ich ließ sie spüren, dass es nur ihre Schuld war, dass sie keine Kinder bekam. Sie wurde immer weniger. Einst war sie so fröhlich und lachte viel. Am Ende brütete sie stets in dumpfem Schweigen vor sich hin. Kurz vor dem Ende fragte sie mich noch:
    ‚ James, was würdest du sagen, wenn ich hier einfach tot umfallen würde?‘
    Ich musterte sie nur gereizt. ‚Mach doch, was du willst‘, meinte ich.
    Am nächsten Tag fanden wir sie unten im Hof. Ich bin mir sicher, dass sie gesprungen ist. Sie trug ihr bestes Kleid und hatte sich wunderschön zurechtgemacht."
    Sie hatte ihre letzte Ruhe neben den Vorfahren ihres Mannes gefunden. Und bei seiner ersten Frau, die mit ihrem Baby gestorben war. Nun lag er selbst dort und Ramis besuchte ihn. Sie glaubte, dass er in ihr weiterlebte. Die Toten sprachen in ihr. Doch noch war es nicht Zeit, ihm zu folgen, es gab ein Letztes, wofür sie noch Vergebung brauchte, den letzten Teil ihrer Vergangenheit, dem sie sich noch stellen musste. Dafür hatte sie ihre drei Kinder gerufen, die sie jetzt unten an der Treppe hörte. William kam als erster die Treppe hoch. Sie staunte, wie alt er geworden war. Sie hatte vor allem den Jungen gekannt.
    "Verehrte Mutter."
    Er drückte ihr einen Kuss
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