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Dunkle Gebete

Dunkle Gebete

Titel: Dunkle Gebete
Autoren: Sharon Bolton
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Taschenlampe und kroch hindurch. Jetzt war ich ganz nahe, das wusste ich. Um eine Ecke, noch ein paar Meter, und ich konnte das Windengewölbe auf der oberen Ebene betreten, auf der Galerie. Wenn ich richtig lag, würde Llewellyn am anderen Ende des Gewölbes sein und die Treppe beobachten. Wenn nicht, nun ja, dann war alles möglich.
    Direkt vor der Ecke wartete ich und lauschte. Dann bog ich in fast vollständiger Finsternis ab und trat in das Gewölbe. Wieder befand ich mich in der Nähe von Wasser. Sehr viel Wasser. Der Boden des Windengewölbes ist dauerhaft überflutet, und vor zehn Jahren hatten wir unsere kleinen Behausungen auf der Galerie errichtet, die sich auf drei Seiten um das Gewölbe zieht.
    Ich tastete mich langsam voran und betete, dass der Boden der Galerie noch stabil war. In zehn Jahren kann eine Menge passieren. Das Gewölbe war hier gut fünfzig Meter lang. Vielleicht einhundert bedächtige Schritte die Galerie entlang und dann weiter zum Obergeschoss des östlichen Kesselraums. Die Kesselräume waren kleiner und weniger zugig; damals waren sie am begehrtesten gewesen. Hier würde Llewellyn Joanna gefangen halten.
    Es war viel zu dunkel, um das Wasser unter mir sehen zu können, doch ich hörte, wie es sich sacht bewegte, leises Schwappen und Plätschern, und sein Geruch schien sich in meiner Kehle festzusetzen. Ich hatte den Eindruck, dass es tiefer geworden war, sogar noch tiefer als die drei Meter, die ich in Erinnerung hatte, dass meine Hand es berühren könnte, wenn ich mich über den Rand der Galerie beugte. Ich hatte das beängstigende Gefühl, um ein riesiges unterirdisches Schwimmbecken herumzutappen.
    Meine Finger trafen auf die Ecke, die die Galerie bildete, und ich machte ein paar Schritte seitwärts. Als meine Hand eine senkrecht hängende Plastikplane berührte, wusste ich, dass dies der Eingang zum Kesselraum war. Gerade schob ich die Plane lautlos zur Seite und trat hindurch, als ich eine Bewegung hörte.
    Die Finsternis im Kesselraum war undurchdringlich. Ich erinnerte mich nur allzu gut an diesen Raum, hatte mich in fast völliger Dunkelheit darin zurechtgefunden, doch es gibt einen Unterschied, stellte ich jetzt fest, zwischen fast völlig und undurchdringlich. Vor zehn Jahren hatte immer irgendwo eine Kerze oder eine Gaslaterne gebrannt oder ein Feuer in einem Ölfass. Jetzt könnte jemand nur Zentimeter von mir entfernt sein und mir direkt in die Augen starren, und ich würde es nicht merken. Taschenlampe oder Stimme, eins von beiden würde ich einsetzen müssen.
    »Joanna«, flüsterte ich. Mir war klar, dass von diesen beiden Möglichkeiten ein leises Geräusch weniger leicht bemerkbar wäre.
    Wieder eine Bewegung, diesmal heftiger. Und die Laute, die eine Frau ganz hinten im Hals macht, wenn sie nicht sprechen kann.
    »Pssst«, flüsterte ich. »Nicht reden.«
    Sie wimmerte noch ein paarmal; das reichte, um sie zu orten. Sie war ungefähr drei Meter entfernt. Ich schob mich voran, immer einen kleinen Schritt nach dem anderen, bis mein Fuß gegen etwas Weiches stieß. Noch ein Wimmern.
    Ich kauerte mich hin.
    Vorsichtig streckte ich die Hand aus und berührte ihre Beine; dabei wagte ich es nicht, die Taschenlampe wegzulegen, für den Fall, dass ich sie dann nicht wiederfand. Sie trug Nylonstrümpfe und fror erbärmlich. Ich strich mit der Hand an ihren Beinen hinunter bis zu den Knöcheln und stellte fest, dass sie mit Klebeband gefesselt waren. Gerade zerrte ich mir den Rucksack herunter, um das Messer herauszuholen, als sie die Knie ans Kinn zog und heftig nach mir trat.
    Ich konnte nicht verhindern, dass mir ein leiser Schmerzenslaut entfuhr, als ich zu Boden ging. Hastig stemmte ich mich hoch, hatte jedoch keine Ahnung, wo sie war, wo die Taschenlampe war, wo ich war. Ich zwang mich, still zu verharren und zu lauschen, das war das Einzige, was ich tun konnte.
    Die Finsternis fühlte sich an, als wäre sie stofflich, als dränge sie von allen Seiten auf mich ein. Dann zwei deutliche Geräusche: das erste das Scharren eines Menschen, der auf dem Boden von mir fortkrabbelte. Das zweite Schritte hinter mir. Ehe ich mich umdrehen konnte, durchzuckte ein starker Lichtstrahl den Raum. Einen Augenblick lang konnte ich Joanna sehen, zusammengekrümmt wie ein verdrecktes, verängstigtes Kind. Eigentlich weniger als einen Augenblick lang, ehe ich von hinten gepackt und auf die Beine gezerrt wurde.
    »Victoria Llewellyn«, sagte eine Stimme dicht an meinem Ohr, während mir der
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