Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkel wie der Tod

Dunkel wie der Tod

Titel: Dunkel wie der Tod
Autoren: P.B. RYAN
Vom Netzwerk:
erfüllte.
    Angesichts dieser riesigen Halle beschaulich von Weberei zu sprechen, kam Nell vor, als würde man den Hafen von Boston eine kleine Bucht nennen. Unter einer hohen Decke erstreckte sie sich auf bestimmt hundert Metern Länge über das gesamte dritte Stockwerk der Fabrik. Unzählige mechanische Webstühle surrten, klackerten und rumpelten unentwegt, derweil Dutzende junger Frauen – manche von ihnen eher noch Mädchen – zwischen den Maschinen hin- und herliefen, um sie zu bedienen. Durch eine lange Reihe hoher Fenster schien hell die Mittagssonne in den weiß getünchten Raum, doch die Scheiben waren allesamt aus Milchglas, damit die Arbeiterinnen sich nicht davon ablenken ließen, dass sie hinaus auf den Fluss schauten. Früher hatte dieser die Maschinen angetrieben, bevor Mr. Hewitt Wasserkraft durch Dampfkraft ersetzt hatte.
    â€žBridie hat an einer von den Maschinen da drüben gearbeitet, zusammen mit Ruth und Evie.“ Das Mädchen zeigte auf zwei junge Frauen, die mit vereinten Kräften an dem Lederriemen zogen, der die Webmaschine mit der darüber befindlichen Hydraulik verband. Eine der beiden war groß und kräftig, üppig und brünett, die andere klein und zierlich und eher unscheinbar mit bleicher Haut und fisseligem blonden Haar, das sie sich im Nacken zu einem Knoten aufgesteckt hatte. Wie die anderen Mädchen in der Fabrik trugen sie Schürzen über ihren zerschlissenen Kleidern, deren Röcke so kurz umgesäumt waren, dass ihre bloßen Füße und Knöchel darunter hervorsahen.
    â€žDie Große ist Ruth“, schrie das Mädchen über den Lärm hinweg. „Ruth Watson. Die kleine Blonde ist Evie Corbet.“
    â€žGlaubst du, sie würden sich mit mir unterhalten?“, fragte Nell ebenso laut.
    â€žÃœber Bridie?“ Das Mädchen zuckte unschlüssig die Achseln. „Wenn ja, werden sie zumindest kein gutes Wort über sie zu verlieren haben. Sie konnten sie nie besonders leiden, und seit man Bridie rausgeworfen hat, müssen die beiden die Arbeit von dreien erledigen.“
    â€žRausgeworfen?“, wiederholte Nell überrascht. „Bridie ist entlassen worden?“
    â€žKlar. Oder was glauben Sie, weshalb sie nicht mehr hier ist?“
    Nell fragte sich, ob Bridies Mutter wohl davon gewusst hatte, und kam dann zu dem Schluss, dass sie es ganz sicher wusste. Mrs. Fallon hatte Nell schon nicht erzählen wollen, dass Bridie verheiratet war, um sie nicht als Ehebrecherin erscheinen zu lassen. Bestimmt hatte sie alles verschwiegen, was ein irgendwie unschmeichelhaftes Licht auf ihre Tochter werfen könnte – zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da sie sich der Hilfe Viola Hewitts gewiss war.
    â€žVielleicht warten Sie aber besser, bis Ruth und Evie mit der Arbeit fertig sind, bevor Sie mit ihnen reden“, riet ihr das Mädchen. „Der Vorarbeiter wird sonst wütend. Aber bald ist ohnehin Mittagspause.“
    Nell bedankte sich bei dem Mädchen, drückte ihr eine Münze in die Hand und ging dann wieder nach draußen, um zu warten.
    Hewitt Mill & Dye Works war ein rechtwinklig angelegter Gebäudekomplex, der die ansonsten noch ländlich idyllische Landschaft zerstörte. Herzstück der Anlage war die Tuchfabrik, ein gewaltiger steinerner Kastenbau, der von einer geradezu winzig geratenen Kuppel gekrönt wurde. Das Fabrikgelände war wie ein kleines Dorf. Es gab einen eigenen Laden, eine eigene Kirche und lange Reihen von Backsteinhäusern, in denen die Fabrikarbeiterinnen lebten.
    In militärisch gerader Linie waren Bäume gepflanzt worden, dazwischen standen hie und da steinerne Bänke. Nell setzte sich auf eine Bank, von der sie glaubte, dass Harry Hewitt sie vom Fenster seines Büros nicht mehr sehen konnte, und streifte sich ihre Handschuhe aus schwarzer Häkelspitze ab. Dann holte sie ihr kleines ledergebundenes Skizzenbuch und den Drehbleistift aus ihrem am Gürtel hängenden Handbeutel hervor und fertigte mit raschen Strichen eine Zeichnung von der Tuchfabrik an.
    Um genau zwölf Uhr begann eine Glocke in der Kuppel zu läuten. Binnen Sekunden strömten die Fabrikarbeiter durch das große Tor hinaus in den wohltuenden Sonnenschein. Die meisten Frauen liefen eilig zu den fabrikeigenen Wohnhäusern, wo nun vermutlich das Mittagessen für sie bereitstand. Einige blieben auf dem Hof, um miteinander zu plaudern oder den Männern
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher