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Dunkel ist die Zukunft

Dunkel ist die Zukunft

Titel: Dunkel ist die Zukunft
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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daß sie die Tiere zudem seit drei Tagen nicht gefüttert hatte. Möglicherweise funktionierte das Ding überhaupt nicht mehr. Aber das würde sie schon merken, dachte sie resignierend. Sie konnte es sich nicht leisten, einen ihrer zwei letzten Schüsse zu vergeuden, nur um sicher zu sein. Net schob sich behutsam ganz aus der Höhle heraus, richtete sich auf und drehte sich einmal im Kreis. Das Licht hier war gnadenlos, und der fast weiße Sand der Wüste reflektierte jeden einzelnen Sonnenstrahl wie ein riesiger Spiegel. Sie hätte niemals so weit nach Norden gehen dürfen. Aber sie war nun einmal in dieser Situation, und es gab absolut niemanden, dem sie die Schuld dafür in die Schuhe schieben konnte. Sie hatte sich ganz allein hineingebracht. Net verschob ihre sinnlosen Selbstvorwürfe auf später, sah sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um und ging los. Sie hatte Durst, aber drüben in den Bergen würde sie genug Wasser finden. Wenn sie es bis dorthin schaffte. Und es gab eine ganze Menge, was dagegen sprach. Charity erwachte endgültig. Mühsam öffnete sie die Augen, starrte die kahle Betondecke fünf Meter über ihrem Kopf an und begriff, daß sich der Tank geöffnet hatte. Ihre Erinnerungen waren  zurückgekehrt. Sie waren schlagartig und ohne Vorwarnung gekommen, und Charity gestand sich widerwillig ein, daß sie wohl auch der Grund für ihre Bewußtlosigkeit gewesen waren. Es war lächerlich, aber sie war wie eine hysterische alte Jungfer schlichtweg vor Schrecken in Ohnmacht gefallen, als sie begriffen hatte, wo sie war. Sie versuchte sich zu bewegen. Jede Bewegung ihres Körpers bereitete höllische Schmerzen. Großer Gott, sie würde nie wieder laufen können, dachte sie. Selbst das Atmen bereitete ihr Mühe. Unter Aufbietung aller Kräfte stemmte sie sich ein wenig in die Höhe, zog die Knie an und versuchte in eine Lage zu rutschen, in der sie wenigstens ihren Körper betrachten konnte. Sie schien ihren Tiefschlaf einigermaßen überstanden zu haben, auch wenn es ihr zuerst nicht so vorkam: Das Dutzend haarfeiner Nadeln in ihrem linken Handgelenk stach wie Feuer, die Wunde in ihrem rechten Oberschenkel klopfte im Takt ihres Herzens, und ihr linker Arm versuchte ihr immer noch einzureden, daß er in Wirklichkeit in hellen Flammen stünde. Der Tank hatte wirklich hervorragend funktioniert, dachte sie griesgrämig. Er hatte nicht nur ihren Körper vor dem Altern bewahrt, sondern auch die beiden Verletzungen nicht heilen lassen. Sie wartete fast fünf Minuten, bis sie mit zusammengebissenen Zähnen die Hand nach dem Metallreif ausstreckte, der um ihrem linken Handgelenk lag, und ihn löste. Es tat ekelhaft weh, und dort, wo die Nadeln gewesen waren, traten kleine hellrote Blutströpfchen aus ihrer Haut. Sie würde Stone die Zähne einschlagen, dachte sie wütend. Einen für jeden Tropfen Blut, der jetzt über ihre Hand lief. Der Zorn aktivierte neue Kräfte in ihr. Stöhnend setzte sie sich ganz auf, sah zuerst nach rechts, dann nach links und musterte dann den benachbarten Tank, einen sechs Meter langen, schimmernden Sarg aus verchromtem Stahl, in dem Stone lag. Er war noch geschlossen. Ein jäher Schrecken durchfuhr sie. Vielleicht war er tot. Die Chancen, den Hibernationstank zu überleben, standen fünfzig zu fünfzig, erinnerte sie sich. Sie war erwacht, aber vielleicht hatte es Stone erwischt, und er faulte seit einem Jahrhundert in seinem Zwanzig-Millionen-Dollar-Sarg vor sich hin. Sie würde es kaum herausfinden, wenn sie weiter hier saß und den Tank anstarrte. Charity wartete, bis sie sich kräftig genug dazu fühlte, dann stemmte sie sich aus dem Tank, tastete vorsichtig mit dem Fuß nach der obersten Stufe der kleinen Treppe und stieg zitternd hinunter. Anschließend blieb sie zehn Minuten lang zitternd und völlig außer Atem sitzen und kämpfte abwechselnd gegen Übelkeit und eine neue Ohnmacht an, die sie überfallen wollte. Aber ihre Kräfte kamen jetzt rasch zurück. Vor einer halben Stunde hatte sie nicht einmal die Energie gehabt, die Hand zu heben, geschweige denn, eine anderthalb Meter hohe Leiter hinunterzusteigen. Sie stand auf, machte einen Schritt auf Stones Tank zu und kehrte wieder um. Bevor sie den Streit fortsetzten, den sie vor zehn oder vielleicht auch zehntausend Jahren unterbrochen hatten, war es vielleicht besser, zuerst einmal gewisse Dinge herauszufinden - zum Beispiel die Antwort auf die Frage, wie lange ihr unfreiwilliger Schlaf gedauert
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