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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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kraftschonend über Wasser zu halten. Als er aufsah, erkannte er den Bug der Desire und hörte im Rauschen der Wellen und des Windes, dass Femke den Motor wieder ausgestellt hatte und das Boot auf ihn zugleiten ließ. Wie der Körper eines Wales näherte sich der Bug. Dann platschte etwas vor Tjark ins Wasser. Es war rot-weiß gestreift. Ohne nachzudenken, griff er danach und hielt sich mit beiden Händen am Rettungsring fest. Er spürte, dass sich sein Körper nun gegen den Strom bewegte. Femke zog und zerrte an dem Seil, das den Rettungsring hielt, und schließlich erreichte Tjark die Bordwand. Er sah nach oben, erkannte Femkes blonden Schopf.
    »Halt dich fest«, befahl sie und streckte ihm die Hände entgegen. »Halt dich fest und hilf mit – alleine schaffe ich es nicht!«
    Tjark versuchte ein Nicken. Er hatte Angst, den Rettungsring loszulassen. Der Ring versprach Sicherheit. Der Rumpf der Desire reichte zwar nur einen Meter hoch. Von hier unten sah es jedoch aus, als stünde Femke auf dem Gipfel des Kilimandscharo. Völlig unmöglich, da hochzugelangen.
    Sie herrschte ihn erneut an und beugte sich so weit wie möglich über die Reling. »Tjark!«
    Ihre Hände schwebten über ihm. Dreißig Zentimeter vielleicht. Oder dreihundert Meter. Eventuell geschah ein Wunder, und er könnte seine Arme wie Mr. Fantastic von den Fantastic Four dehnen. Es kam auf einen Versuch an. Tjark löste die rechte Hand vom Rettungsring und schwang sie nach oben, wobei er sich so weit wie möglich aus dem Wasser streckte. Im nächstens Moment schlossen sich Femkes Hände um seine, griffen um das Handgelenk und zogen ihn nach oben.
    Femke keuchte wie ein Gewichtheber. »Du musst«, rief sie und schnappte nach Luft, »mithelfen!«
    Tjark schwang die Linke nach oben. Seine Finger bekamen die Reling zu fassen. Jetzt spürte er Femkes Griff im Nacken am Kragen seiner patschnassen Jacke. Sie zerrte an ihm wie an einer Katze, die man im Genick packt. Schließlich nahm Tjark alle Kraft zusammen – und im nächsten Moment hing sein ganzer Oberkörper über der Bordwand wie ein nasser Lappen. Femke fiel nach hinten gegen die Wand der Kajüte. Sie atmete schwer. Tjark atmete schwer.
    »O Gott.« Erschöpft presste Femke sich die Hände auf die Augen.
    Mit einer Seitwärtsrolle ließ sich Tjark auf den Boden der Desire kippen und blieb entkräftet auf dem Rücken liegen. Er atmete einige Male tief durch. Dann öffnete er die Augen und sah, auf dem Kopf stehend, zum Heck der Desire, wo der Außenborder befestigt war.
    Dort war ein Gesicht. Ruven. Er hielt das Gewehr noch in der Hand und fletschte die Zähne wie der Weiße Hai, der sich an Bord wuchten wollte, um alle zu fressen. Tjark wirbelte um die eigene Achse und kam auf dem Bauch zum Liegen. Er sprang wie ein Hundertmeterläufer in die Startposition und drückte sich vom Boden ab. Mit einem Hechtsprung gelangte er zum Heck, wo Ruven sich mit der freien Hand an der Abdeckung des Außenborders festhielt. Tjark erwischte ihn an der Schulter und griff nach dem Gewehrlauf. Ruven glitt ein Stück nach unten und brüllte vor Wut wie ein Stier. Der Gewehrlauf rutschte über die Reling. Tjark hielt ihn fest wie das Paddel eines Kanus – und blickte in die beiden dunklen Läufe, die nun genau auf sein Gesicht zielten.
    »Sag auf Wieder…«, kreischte Ruven.
    Aber weiter kam er nicht.
    Im nächsten Moment sprang der Motor der Desire an. Es klang, als ob man ein Bündel trockener Äste in einen Häcksler warf, als die Schrauben Ruvens Körper unterhalb der Gürtellinie zerfetzten und sich in seinen Magen gruben. Sein Gesicht wurde schlagartig kalkweiß und nahm einen erstaunten Ausdruck an. Dann ließ er das Gewehr los. Schließlich sackte er nach unten und verschwand in dem brodelnden Wasser, ohne einen Laut von sich zu geben. Dafür gab der Motor einen Laut von sich. Etwas knallte. Dann war er aus. Ruven durch den Fleischwolf zu drehen hatte die Desire offensichtlich überfordert.
    Mit weit aufgerissenen Augen blickte Tjark über die Schulter nach hinten. Er sah Femke, die an den Bordinstrumenten stand und immer wieder einen Knopf betätigte – sicherlich den, mit dem sie eben den Motor eingeschaltet hatte. Tjark stand auf. Femke begann nun, mit der Faust auf die Schalttafel zu schlagen. Tjark warf das Gewehr zur Seite und machte einige Schritte auf sie zu. Nun hämmerte sie mit beiden Händen auf das Schiff ein und begann zu wimmern und zu schluchzen. Tjark griff nach ihrer Schulter.
    Femke
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