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Dünengrab

Dünengrab

Titel: Dünengrab
Autoren: Sven Koch
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seinem Vater die Blumen gefallen hätten. Auch so war es am Ende – viele Fragen blieben ungeklärt. Fragen, von denen man vorher nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab – Ungelöstes, nicht Ausgesprochenes … Und die große Frage nach dem Warum. Der Krebs hatte den alten Mann zerfressen, aber letztlich war er innerlich verblutet. Das Gewebe an der Aorta war zu schwach gewesen. Schließlich war es geplatzt. Keine Chance, hatten die Ärzte erklärt. Es war im Schlaf passiert, wegen der starken Schmerzmedikamente hatte er nichts gespürt. War das ein Trost? Ja. Ein geringer, aber immerhin.
    Tjark fasste in die Tasche des schwarzen Sakkos, nahm eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Nachdem er aufgeraucht hatte, war es Zeit zu gehen. »Du warst ein guter Mann, Harald Wolf. Und ich habe das Arschloch erwischt«, sagte er zu dem Sarg und sah ein letztes Mal nach unten. Dann drehte er sich um und ging an der kleinen Kapelle vorbei über den menschenleeren Friedhof. Er schlenderte quer über den Rasen einen leichten Hang hinab, der zum Parkplatz führte. Am Ende des Hangs öffnete er die Gittertür und schloss sie wieder. Dann sah er das Empfangskomitee.
    Ceylan trug ein kurzes dunkles Kleid, das ihr phantastisch stand, sowie eine Audrey-Hepburn-Sonnenbrille mit beinahe bierdeckelgroßen Gläsern. Femke hatte einen Hosenanzug an und Fred den einzigen schwarzen Anzug, den er besaß. Tjark wusste, dass Fred ihn vor einigen Jahren für seine Hochzeit gekauft hatte. Seine Schuhe waren an den Absätzen und Spitzen von Lehm verkrustet. Er kam wohl von der Baustelle und aß gerade einen Berliner, den er mit verlässlicher Sicherheit aus dem Karton genommen hatte, der auf der Kühlerhaube von Tjarks Wagen stand. »Hafenbäckerei« war auf dem Karton zu lesen.
    Femke trat auf ihn zu. Sie fasste Tjark am Oberarm und drückte leicht zu. »Es tut mir aufrichtig leid. Ich kannte deinen Vater nicht, aber ich kann mir vorstellen, was das für ein Verlust ist.«
    Konnte sie das? Nein, dachte Tjark, sagte aber nichts dergleichen, denn Femke meinte es freundlich und ehrlich. »Danke«, antwortete er.
    Danach stand Ceylan vor ihm. Sie roch wie ein frischer Blumenstrauß und nahm Tjark wortlos in den Arm, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellen musste. »Mein Beileid«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Tut mir leid«, fügte sie mit einem unsicheren Lachen an und wischte sich mit der Fingerspitze unter dem linken Brillenglas her. »Ich bin immer so emotional, weißt du.«
    Fred nickte ihm lediglich kurz zu. Er musste nichts sagen. In seinem Blick las Tjark, dass er längst verstanden hatte, was Tjark in letzter Zeit bewegt und aus der Bahn geworfen hatte. Wenngleich, dachte Tjark, Fred die Konsequenzen daraus noch nicht kannte.
    »Nimm einen Berliner«, sagte Fred. »Das sind die guten aus Werlesiel. Beerdigungs-Berliner.« Ceylan buffte Fred in die Seite.
    Tjark hustete und steckte sich eine weitere Zigarette an. Er überlegte kurz, zu fragen, was die drei hier machten, wie sie Wind davon bekommen hatten und was ihr Erscheinen zu bedeuten hatte. Aber er verwarf die Frage, weil er die Antwort kannte. Sie alle hatten zusammen etwas durchgemacht und jetzt eine gemeinsame Geschichte. Sie waren nun ein Team, The Fantastic Four, ohne dass sie sich darüber groß verständigen mussten, und in einem Team stand man füreinander ein. Tjark hatte sich außerdem für die Beerdigung einige Tage freigenommen und davor ein längeres Gespräch mit Berndtsen geführt, was wenigstens Fred und Ceylan mitbekommen haben dürften.
    Tjark zog an der Zigarette und wechselte das Thema. »Wie geht es Vikki?«
    Fred schluckte seinen Bissen hinunter. »Die Ärzte haben sie in ein künstliches Koma versetzt. Du weißt ja, sie war halb tot, als sie in die Klinik kam. Unterkühlt, Wasser in der Lunge, dehydriert …«
    »Kommt sie durch?«
    »Es heißt, dass sie durchkommt. Aufgewacht ist sie noch nicht.«
    »Und Werlesiel …«
    »… wird von den Kollegen von links auf rechts gekrempelt, um einen sauberen Abschlussbericht zu bekommen.« Fred lächelte leicht. »Berndtsen halt – lässt keinen Stein auf dem anderen, wo er selbst schon nicht zur Stelle war, als es drauf ankam.«
    Tjark wandte sich an Femke. »Was macht Justin, dein Pferd?«
    Femke betrachtete Tjark mit einem verwunderten Gesichtsausdruck. Sie fragte sich wohl, warum Tjark an einem Tag wie diesem über so etwas für ihn völlig Belangloses reden wollte wie ihr Pferd. »Er
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