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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Autoren: Administrator
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muskulösen Mann mit dem Schwert, der Giuliano niedergestochen hatte; dieser schwang sich soeben über die Balustrade und rannte Lorenzo hinterher. Die in den Chorraum stürmenden Männer waren noch zu weit entfernt; Lorenzos Gefährte ließ von dem Priester ab und sprang ebenfalls über die Brüstung, dem Mann mit dem Schwert in den Weg. Als dieser ihm auswich, eilte er ihm nach, versuchte ihn mit beiden Armen zu umfangen, kam ins Stolpern und stürzte.
    Ich wurde angerempelt und zur Seite gestoßen. Ein zweiter Trupp Bewaffneter eilte zu der Stelle, an der der blutüberströmte Giuliano lag und von dem kleinen Mann noch immer mit dem Dolch zerfetzt wurde. Aber jetzt quollen die Sängerknaben hinter den Stellwänden hervor und liefen kreischend im Chorraum herum. Als der kleine Mann die Männer sah, die sich fluchend durch die Knaben arbeiteten, sprang er humpelnd davon.
    Auf der anderen Seite des Altars mühte sich der muskulöse Mann, sein Schwert aus dem Genick des Mannes zu ziehen, der ihn aufzuhalten versucht hatte. Er blickte sich wie rasend um, riss sein Schwert mit einer gewaltigen Anstrengung an sich, versetzte dem zuckenden Körper zu seinen Füßen einen Tritt und sprang zur Sakristeitüre hinüber, aber diese schwang soeben hinter Lorenzo de’ Medici zu. Er wandte sich zum Altarraum um. Der Priester, noch immer hinter dem Altar, hob entsetzt die Hände vors Gesicht und rannte dann mit wedelnden Armen in den Chorraum, in die Arme der Bewaffneten, die versuchten, den Attentäter einzufangen. Die weiß gekleideten Würdenträger, die bis jetzt wie gelähmt vor Schreck dem Geschehen zugeschaut hatten, sprangen ebenfalls auf und drängten in den Chorraum hinaus. Kardinal Riario hastete ihnen hinterher, verlor seinen weiten Kardinalshut, trat auf seine Robe und fiel auf den Boden.
    »O mein Gott, da kommen sie«, keuchte Kleinschmidt. Ich fuhr herum. Die Gläubigen hatten sich von ihrer Fluchtrichtung zum Hauptportal hinaus abgewandt und rannten nun auf uns zu, zum Chorraum, zu den Seitenportalen, in Sicherheit. Plötzlich fanden wir uns in einem um sich schlagenden Gewühl an Gliedmaßen und Körpern wieder, Frauen und Männer gleichermaßen, denen Geschmeide vom Kopf rutschte, Ketten zerrissen, die ihre Perlen wie einen Hagelschlag um sich verteilten, die falsche Haarteile, Tücher, Schals und Handschuhe verloren und sich den Weg zum Portal freikrallten. Sie nahmen mir den Blick auf das weitere Geschehen, sie nahmen mir den Atem, sie trennten mich endgültig von meinem Schwiegersohn und schwemmten mich nach draußen.
    Männer schrien nach ihren Frauen, Frauen nach ihren Kindern; nicht wenige schrien einfach um Hilfe oder flehten in ihrer Panik zu Gott. Die Menge platzte aus dem Seitenportal und rannte nach allen Richtungen auseinander. Ich taumelte zwischen ihnen und versuchte, nicht zu stolpern. Ich erwartete, dass Johann Kleinschmidt im nächsten Moment wieder neben mir auftauchen würde, aber ich konnte ihn nirgends entdecken. Wenn ich die Sprache beherrscht hätte, hätte ich nach ihm fragen können. So eilte ich ratlos in die verschiedensten Richtungen, um ihn inmitten des aufgeregten Volks zu erspähen. Über dem Platz hingen Staub und das entsetzte Geschnatter von tausend erregten Kehlen. Als nur wenige Straßenzüge entfernt plötzlich Glocken mit einem panischen Sturmgeläut einsetzten, zuckten alle zusammen und sahen in die Richtung, aus der der Lärm kam. Im nächsten Moment eilten fast alle auf das Läuten zu, lauter brüllend als zuvor. Ich blieb zwischen den Davonlaufenden zurück, verwirrt und mit zuckenden Beinmuskeln, atemlos und ratlos und noch immer voller Erregung über den Vorfall. Weitere Menschen, diesmal schlechter gekleidet -Handwerker, Arbeiter, Gassenpöbel –, rannten schreiend und armwedelnd an mir vorbei in jene Gasse hinein, die nach Süden führte. Mein Schwiegersohn blieb verschwunden. Ich setzte mich keuchend ebenfalls nach Süden in Bewegung, ohne daran zu denken, dass die vernünftigste Richtung, in die ich hätte rennen sollen, Norden war.
    Wir eilten durch eine lang gezogene, verwinkelte Gasse, in der es nach Häuten, offenen Feuerstellen, nach süßem und saurem Gebackenen und nach Fisch roch. An ihrem Ende öffnete sich ein weiter Platz, über den das Läuten mit wütender Heftigkeit erscholl. Über die Köpfe und Rücken, über drohende Arme und geschüttelte Fäuste hinweg erhob sich ein strahlend goldfarbener Bau; ich erinnerte mich, dass Kleinschmidt mir den
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