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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Autoren: Administrator
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des Messbeginns ließ die Kirchenbesucher schweigen, wie sie es stets vermochte. Das immer gleiche Ritual, von den meisten unverstanden, von nuschelnden oder leidenschaftlichen Priestern vorgetragen, in vom vielen Gebrauch abgeschliffenem Latein – während der Zeit meiner weitesten Distanz von der Kirche hatte ich dafür nur schmerzvolle Verachtung verspürt. Hier, in diesem mehr als prachtvollen Gotteshaus, in dieser stein- und goldgewordenen Hingebung an die höhere Macht Gottes, spürte jedoch auch ich eine seltsame Berührung. Vielleicht hätte ich schon eher nach Florenz kommen sollen, um meine Verbindung zu Gott wieder zu suchen. Der Weihrauch wallte duftend in die Höhe und setzte sich kurzfristig gegen die Parfümwolken der Patrizier durch; in der Kuppel schienen die letzten Töne des Chorais zu verklingen. Die Gemeinde schwieg und gab nur die Geräusche von sich, die sich nicht vermeiden ließen: das Klirren von Armreifen, das Rascheln von Seide und das Scharren von Schuhsohlen auf dem Mosaikboden. Der Priester sah auf und hob beide Arme.
    Vor der Holzbalustrade verschwanden Lorenzo und Giuliano de’ Medici plötzlich unter einem Gewimmel von Leibern. Noch bevor der Priester reagieren konnte, noch bevor die Kirchenbesucher einen Laut ausstießen, noch bevor ich spürte, wie sich Kleinschmidts Hand auf einmal in mein Wams krallte, gellten Schreie auf, und Männer taumelten vorn bei der Holzbalustrade zurück oder stürzten zu Boden. Jemand schrie aus Leibeskräften: »Prendi, traditore!« Ich sah einen der beiden Priester in Lorenzos Begleitung zurückprallen und über seine eigenen Füße stolpern. Das Gewühl aus aufgeregten Körpern löste sich plötzlich in einer ziellosen Rauferei auf.
    Die Bewegung der Menschen glich der vorherigen bei Giuliano de’ Medicis Eintreten: Sie wichen krampfhaft zurück. Die Reaktion setzte noch vor dem Schrecken ein; dann erhob sich ein wüstes Kreischen und Geschrei, und ich wurde zur Seite und fast zu Boden gestoßen. Ich hielt mich an jemandem fest und starrte in Kleinschmidts totenblasses Gesicht. Die Messbesucher wandten sich zur Flucht, stießen und drängten und rissen uns mit sich, bis ich mich mit rudernden Armen freimachte und plötzlich allein vor der Holzbalustrade befand.
    Giuliano de’ Medici stand dem muskulösen Mann aus seiner Begleitung gegenüber, der ihn scheinbar mit seinem Körper zu decken versuchte. Giuliano starrte ihn befremdet an. Dann trat der muskulöse Mann zurück und zog ein kurzes Schwert aus dem Körper Giulianos, und dieser brach zusammen. Der kleine Mann, der ihn beim Hereinkommen gestützt hatte, riss einen Dolch aus dem Gürtel und sprang zu dem Attentäter hinüber, sein Gesicht eine verzerrte Grimasse aus bleckenden Zähnen. Er stieß den Mann mit dem Schwert beiseite und fiel in seiner Hast über Giulianos zusammengekrümmten Körper.
    Jemand packte meinen Arm und riss mich herum.
    »Mein Gott, schnell, wir müssen hier heraus!«, schrie Johann Kleinschmidt. Ich schüttelte ihn ab. Der kleinere der beiden Männer aus Giulianos Begleitung rappelte sich auf und begann, mit seinem Dolch auf den am Boden liegenden Körper einzustoßen wie ein Rasender. Der Mann mit dem Schwert wandte sich um und stürzte auf die Gruppe um Lorenzo de’ Medici zu. Das Häufchen älterer Männer aus Lorenzos Begleitung floh von der Balustrade in unsere Richtung und rannte uns fast um.
    »Was wollt Ihr hier noch?«, schrie Kleinschmidt. »Schnell!«
    Der Priester, der zu Boden gestürzt war, versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Aus seiner Hand fiel ein Messer auf die Fliesen. Giulianos Bruder stand mit dem Rücken zur Balustrade, seinen kurzen Mantel um den linken Arm gewickelt, und fing einen Dolchstoß des zweiten Priesters ab. Lorenzo blutete stark aus einer Halswunde; mit der Rechten schwang er ein zierliches Schmuckschwert, aber der zweite Priester duckte sich und drang wieder auf ihn ein. Der erste Priester bückte sich nach seinem Dolch; der einzige Mann aus Lorenzos Begleitung, der nicht das Weite gesucht hatte, stürzte sich auf ihn und warf ihn wieder zu Boden. Lorenzo sprang über die Balustrade und floh durch den Chor. Aus dem südlichen Seitenschiff hasteten jetzt weitere Männer in den Chorraum, stießen die ineinander verkeilten, hinausdrängenden Messbesucher rücksichtslos zur Seite und zogen im Laufen ihre Schwerter. Lorenzos Gefährte versetzte dem Priester einen Tritt und sah sich nach Lorenzo um. Sein Blick fiel auf den
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