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Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici

Titel: Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Autoren: Administrator
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nicht…«
    »Ihr hattet die Briefe als Letzter in der Hand.«
    Tredittore breitete die Arme aus und ließ sich gegen die Wand sinken.
    »Nein«, seufzte er. »Ich hatte sie nicht als Letzter in der Hand. Ich habe sie nicht einmal zugestellt.« Er rutschte mit dem Rücken an der Wand herunter, bis er auf dem Boden hockte, und vergrub sein Gesicht in beiden Händen. »Ich hätte es Euch sagen sollen«, sagte er dumpf dahinter hervor, »aber ich konnte nicht.«
    Jana starrte ihn fassungslos an. Als sie Luft holte, schüttelte ich den Kopf, und sie schwieg, so schwer es ihr auch sichtlich fiel. Plötzlich bemerkte sie, dass sie aufgesprungen war. Sie glättete mit fahrigen Bewegungen den Rock ihres Kleides und setzte sich wieder. Pratini räusperte sich in die Stille. Ich vergewisserte mich mit einem Blick zu Lorenzo de’ Medici, dass seine Geduld noch immer nicht erschöpft war.
    »Wem habt Ihr sie gegeben?«, fragte ich Tredittore sanft.
    »Ich war nach Monna Janas Abfuhr am Samstagmorgen so wütend, dass ich mit dem Gedanken spielte, gar nicht mehr zurückzukommen«, sagte Tredittore leise, ohne sein Gesicht hinter seinen Händen hervorzunehmen. »In Florenz herumzulaufen und nach den Adressen der Briefempfänger zu fragen schien mir völlig unmöglich. Ich erstickte fast daran. Ich stürmte aus dem Haus hinaus wie ein Verrückter. Ich war so zornig, dass ich die Hausmauer mit den Füßen trat, bis mir die Zehen schmerzten.«
    »Was geschah dann?«
    »Ein Mann trat auf mich zu und fragte mich, warum ich so wütend sei. Ich glaube, ich erzählte ihm alles, was mich seit Venedig bewegte, und dass die Zumutung, diese Briefe auszutragen, der Höhepunkt all dessen sei. Er erklärte mir, dass er arm sei und jede Arbeit annehme. Wenn ich ihn dafür bezahlte, würde er sofort die Briefe selbst austragen.«
    »Ihr habt sie ihm gegeben.«
    »Ich fürchte, wenn ich das nicht getan hätte, hätte ich sie in den Arno geworfen.«
    »Diese Geschichte glaubt doch kein Mensch!«, rief Jana. »Er ist der Fälscher! Ich weiß nicht, was er geschrieben hat, aber ich kann Euch noch den Wortlaut meiner eigentlichen Briefe an Boscoli und Cerchi aufsagen.« Sie wandte sich Lorenzo de’ Medici zu. Ich unterbrach sie.
    »Ich glaube ihm«, sagte ich.
    Jana riss die Augen auf und sah mich überrascht an. Selbst Lorenzo de’ Medici hob eine Augenbraue. Tredittore hob sein Gesicht und starrte mich ebenso ungläubig an wie Jana.
    »Jetzt habt Ihr mich endgültig verwirrt«, erklärte Lorenzo. »Bis gerade eben konnte ich Euch noch folgen, doch jetzt weiß ich nicht mehr, wohin Ihr uns eigentlich führen wollt.«
    »Lediglich zur Wahrheit«, sagte ich. »Wie sah der Mann aus, dem Ihr die Briefe gegeben habt?«
    Tredittore musste nicht lange nachdenken. »Vierschrötig, untersetzt. Er trug eine Lederschürze „wie ein Arbeiter, und in seinem Gesicht waren Dutzende kleiner Narben. Er sah aus wie ein Steinhauer.«
    Lorenzo de’ Medici öffnete den Mund und sah ungläubig von Tredittore zu mir. »Das ist doch…«, flüsterte er.
    »Habt Ihr den Mann später noch einmal wiedergesehen?«, fragte ich.
    Tredittore schüttelte den Kopf.
    »Kein einziges Mal?«, schaltete sich Lorenzo de’ Medici ein. »Auch nicht gestern?«
    »Ich verstecke mich seit gestern in San Lorenzo, Eure Exzellenz«, erklärte Tredittore unterwürfig. »Ich habe ihn nie wiedergesehen.«
    Lorenzo winkte mir zu, und ich folgte ihm auf den Treppenabsatz hinaus. Hinter mir hörte ich, wie Jana die Luft ausstieß und erwartete, dass sie Tredittore die Hölle heiß machen würde, aber sie schwieg. Stattdessen hörte ich Antonio Pratini murmeln: »Ist das einer Eurer Vertrauten?«
    »Ich habe keine Vertrauten außer Peter«, erwiderte sie leise. Ich verdrängte ihre Worte und konzentrierte mich auf Lorenzo de’ Medici, dessen Gesicht im Dunkel des Treppenabsatzes bleich und wütend wirkte. Unten am Ende der Treppe schlurfte ein älterer Mann heran und zündete mit einem Kienspan eine Fackel an; dann nahm er mühsam die erste Treppenstufe in Angriff und kroch in unsere Richtung, um zu den anderen Fackeln zu gelangen. Als er uns sah, nickte er uns zu, ohne sich im Ernst seiner Tätigkeit stören zu lassen.
    »Wenn das ein abgekartetes Spiel ist…«, sagte Lorenzo de’ Medici.
    »Ist es nicht. Glaubt mir – wenn ich versuchen würde, Euch hinters Licht zu führen, würde ich mir eine Geschichte ausdenken, die nicht so kompliziert ist. Außerdem liegt dort unten ein Toter, dessen
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