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Du zahlst den Preis fuer mein Leben

Du zahlst den Preis fuer mein Leben

Titel: Du zahlst den Preis fuer mein Leben
Autoren: Carolin Philipps
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man ihnen, dass Rianis Vater am Strand von Lhok Nga eingesetzt, die Familie irgendwo bei Verwandten untergekommen war. Einen ganzen Tag lang suchten sie: auf den Märkten, auf die das Leben zurückgekehrt war, und in einem der Kinderzentren, die von UNICEF eingerichtet worden waren. Morgens wurden hier die Kleinen betreut, nachmittags die Schulkinder. Und hier traf Nica auch Riani und Kali wieder.
    Nach der Schule fuhren sie zum Nachbardorf, wo Rianis Familie lebte. Ihr eigenes Haus war noch nicht wiederaufgebaut.
    »Es gibt keine Hoffnung mehr!«, sagte Rianis Vater, als er abends müde nach Hause kam. »Wenn wir überhaupt noch etwas finden, dann sind es Leichen.«
    »Und auf einer der Inseln?« Nicas Mutter wollte nicht aufhören zu hoffen.
    Er schüttelte den Kopf. »Alles längst abgesucht.«
    Trotzdem machte sich die Mutter in den nächsten Tagen auf den Weg, um in Krankenhäusern und bei Behörden nachzufragen. Sie brauchte Gewissheit und wenn es nur ein Totenschein war. Nica blieb wie ein Jahr zuvor bei Rianis Familie. Morgens wurde Nica von ihrer Mutter zu Rianis Schule gebracht, wo sie neben Riani saß und indonesische Worte lesen und schreiben lernte. Die Leiterin der Schule hatte keine Bedenken, Nica für zwei Wochen aufzunehmen. Sie musste nur, wie alle anderen Mädchen auch, die Schuluniform tragen: weiße lange Hosen, ein langärmliges T-Shirt und den Jilbab. Nachmittags spielte sie im Dorf mit den anderen Kindern, erst abends holte Nicas Mutter sie wieder ab.
    Am Ende der zwei Wochen gab es nicht mehr Gewissheit als vorher: Nicas Vater hatte sein Grab im Meer gefunden oder lag in einem der beiden Massengräber in Banda Aceh. Nica und ihre Mutter legten an beiden Gräbern Blumen nieder.
    Beim Abschied weinten Riani und Nica, aber die Mutter versprach, auch im nächsten Jahr wiederzukommen. Und das taten sie auch. Jahr für Jahr, immer zu Weihnachten flog Nica mit ihrer Mutter nach Banda Aceh. Jedes Mal waren die Spuren des Tsunami weniger sichtbar, nach vier Jahren waren sie beinahe verschwunden. Nur die Grabsteine hinter fast jedem Haus erinnerten an den 26.12.2004.
    Wohnhäuser, Schulen, Brunnen. Alles neu gebaut, schöner und moderner als vorher. Sirenen wurden installiert, um die Bevölkerung bei einem neuen Tsunami rechtzeitig zu warnen. Trotzdem wohnt seitdem die Angst in den Köpfen der Menschen. An stürmischen Tagen, oder wenn die Erde mal wieder zu beben anfängt, bricht Panik aus.
    Manches, was der Tsunami zerstört hat, wird als Denkmal erhalten und ist Teil der »Tsunami-Tour«, die für Touristen angeboten wird. So kann man das Generatorschiff PLTD Apung 1 besichtigen, das 3,5 Kilometer weit ins Landesinnere geschleudert wurde. Die Mannschaft hat überlebt, aber das Schiff hat Häuser und Menschen zerdrückt, als es auf dem Boden aufschlug. An einigen Stellen kann man unter dem Schiff Mauerreste von Häusern sehen.
    Auf einem großen Plakat vor der Moschee stand: »Kein Unheil geschieht auf Erden oder euch selbst, das nicht in einem Buch stünde, bevor wir es geschehen lassen. Das ist Allah fürwahr ein Leichtes.«
    »Wenn er es weiß, warum verhindert er es nicht?«, fragte Nica. »Hunderttausende Tote! An einen Gott, der so was zulässt, kann man doch nicht glauben!«
    Die Mutter zog sie weiter. »Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Auch die Christen glauben an einen allwissenden, allmächtigen Gott. Und doch lässt er Unglück zu.«
    »Und wenn alles nur Zufall ist? Vater war zufällig an einem Ort, wo ihn die Welle getroffen hat. Wenn es Zufall war, hat niemand Schuld.«
    »Hör auf zu grübeln, Nica. Auch wenn es kein Zufall war, hat niemand Schuld. Hätten wir damals den Ausflug gemacht … Wäre er damals doch nicht zum Tauchen gefahren … Hätte, wäre, könnte, würde das was ändern? Er ist nun mal tot. Endgültig und unwiderruflich. Zufall – Schicksal. Macht ihn das wieder lebendig? Wir müssen so oder so damit klarkommen, und das macht es so verdammt schwer.«
    Weihnachten 2008 trafen sie Riani und ihre Familie zum letzten Mal in Banda Aceh. Auch da lebten sie noch bei Verwandten. Es wurde immer unwahrscheinlicher, dass ihr Haus wiederaufgebaut würde. Bapak hatte das Grundstück vor vielen Jahren von einem Nachbarn gekauft, der bei dem Tsunami ertrunken war. Bapak hatte ihm das Geld übergeben, dann hatten sie sich die Hand gereicht. Das Grundstück gehörte nun Bapak. Aber es gab keine Urkunde über den Kauf. Alle, die es hätten bestätigen können, lebten nicht mehr.
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