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Du zahlst den Preis fuer mein Leben

Du zahlst den Preis fuer mein Leben

Titel: Du zahlst den Preis fuer mein Leben
Autoren: Carolin Philipps
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stehst am Strand und schaust aufs Meer.
    Das Wasser ist satt ... blau,
    der Himmel tränenleer.
    Zu deinen Füßen schlafen die Toten
    zwischen Laken und Brettern von gewesenen Fischerbooten.
    Ihre Schreie sind für immer verstummt,
    Tränen und Blut in der Sonne verklumpt.
    Du schaust aufs Meer.
    Keine Welle in Sicht!
    Fürchte dich nicht!
    Doch du traust dem Frieden nicht ... mehr.
    Und du rufst und du schreist und schreist und rennst und ... stürzt ...
    Und fällst und fällst ...
    Die Welle aus Furcht und Grauen
    lässt dich nie wieder aus ihren Klauen.
    Sie packt dich und drückt dich und drückt und drückt,
    zer
drückt dich.
    Das Meer aber ist ruhig, keine Welle in Sicht.«
    Für einen Augenblick ist es ganz still, ungewöhnlich still für einen Poetry-Slam.
    »Boah, ey! Man konnte die Welle direkt sehen«, flüstert Emma. »Er sieht nicht nur unverschämt gut aus, er kann auch noch dichten.«
    Nica beachtet sie nicht. Sie hat nur Augen für Kali, der da vorne steht und sich verbeugt. Sie kann es nicht fassen, dass er soeben den Albtraum ihres Lebens in ein Gedicht gepresst hat.
    Endlich fängt das Publikum an zu klatschen und zu rufen. »Kali! Kali!« Alle sind begeistert.
    Wie konnte er nur? Er musste wissen, dass seine Worte alles wieder hochspülen, was sie gerade erst vergraben hat.
    Oder wollte er genau das?
    Die Erinnerung wieder zum Leben erwecken?
    Aber warum?
    Während Kali unter dem Jubel der Zuhörer die Bühne verlässt und Olaf aus der 10b ans Mikrofon kommt, schleicht sich Nica aus der Aula.
    Sie setzt sich auf eine Bank auf dem Schulhof, die Tränen laufen ihr über das Gesicht, während in ihrem Kopf der Film mit den Bildern von damals abläuft …
    * * *
    Weihnachten 2004. Ihre Eltern hatten beschlossen, vor dem Weihnachtsrummel zu flüchten und nahmen ihren Jahresurlaub nicht wie sonst im Sommer, sondern über Weihnachten. Ziel: Banda Aceh an der Nordküste von Sumatra.
    Nica war sechs und gar nicht begeistert von der Idee. Sie liebte den Weihnachtsrummel mit Tannenbaum und Kerzen, die Lichterketten in den Einkaufsstraßen, sie wollte Kekse backen und wartete sehnsüchtig auf den ersten Schnee.
    Aber mit sechs Jahren hielt sich ihr Mitspracherecht in Grenzen und so landete die Familie fünf Tage vor Weihnachten am Strand von Ulee Lheue. Ein Bungalow in einer Luxushotelanlage, unweit vom blauen Meer.
    Statt Schnee gab es massenhaft weißen, weichen Sand, statt Lichterketten aus künstlichen Eiskristallen Sonnenuntergänge am Strand. Sand- und Wasserspiele ohne Ende. Nica hatte bald Freunde gefunden, mit denen sie jeden Tag neue Wasserschlösser bauen konnte. Ihr Vater erfüllte sich einen Jugendtraum und machte einen Tauchkurs. Ihre Mutter genoss das ungestörte Lesen im Liegestuhl.
    »Das machen wir ab jetzt jedes Jahr!«, schwärmte der Vater und die Mutter stimmte begeistert zu. Auch Nica hatte in diesem Moment nichts dagegen. Tannenbaum und Lichterketten waren weit weg.
    Einmal fuhren sie nach Banda Aceh, der Provinzhauptstadt, um sich in der Stadt umzusehen. Sie bummelten durch die Straßen und besichtigten die große Moschee mit den fünf schwarzen Kuppeln und den vier weißen Minaretten. Aber eigentlich interessierten sich weder der Vater noch die Mutter für das Land und seine Menschen. Sie waren hierhergekommen, um die Sonne, das Meer und den Strand zu genießen.
    Sieben Tage lang war der Strand von Ulee Lheue ihr Paradies. Abends erzählte der Vater begeistert von der bunten Unterwasserwelt, in der sich Fahnenbarsche, Falterfische, Geistermuränen, Schildkröten und vor allem Clownfische in allen Farben tummelten. Wie gern wäre sie mit ihm getaucht, hätte die Clownfische aus ihrem Lieblingsfilm »Findet Nemo« persönlich kennengelernt. Der Vater versprach, Nica das Tauchen beizubringen, sobald sie zehn Jahre alt wäre.
    Dazu aber sollte es nicht mehr kommen.
    Am 2. Weihnachtstag wurde aus dem Paradies die Hölle. Der Tag begann wie alle Tage mit einem Frühstück auf der Hotelterrasse. Eigentlich wollten die Eltern an dem Tag einen Ausflug ins Hinterland machen, Nica aber hatte sich mit ihren neuen Freunden zum Wasserschlossbauen verabredet. Sie bettelte so lange, bis der Ausflug auf den nächsten Tag verschoben wurde, was Nica sich bis heute nicht verzeihen kann. Wären sie doch nur gefahren!
    Zusammen mit ihrer Mutter begleitete sie den Vater zum Hafen, wo das Fischerboot wartete, mit dem er wie an den Tagen zuvor mit fünf anderen Touristen zum Tauchen fuhr. Nica winkte ihm
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