Du zahlst den Preis fuer mein Leben

der ihn zahlt, bleibt mit deiner Tochter zurück.
    Zwei andre Frauen hat er schon, doch keine ist so jung und schön wie ... sie.
    Deine Tochter weint ohne Unterlass,
    Dein Sohn begleitet dich voller Hass.
    Deine Frau fügt sich, ohne zu klagen,
    oder nach den Gefühlen ihrer Tochter zu fragen.
    Deine Tochter hasst deinen Neuanfang,
    dein Sohn hasst deinen Neuanfang,
    Auch deine Frau hasst deinen Neuanfang.
    Doch dir ist das egal,
    dein Traum wurde wahr.
    Für dich sind Träume keine Schäume,
    obwohl du auf der falschen Seite geboren bist.
    Deine Tochter ist nun alleine
    Weine, kleine Schwester, weine!«
    »Was redet er?«, flüstert Ibu Nica zu.
    »Er erzählt die Geschichte von Riani«, sagt Nica, jedes einzelne Wort überdeutlich betonend. »Alles, Ibu, alles, was passiert ist.« Ibus Augen werden ganz groß vor Entsetzen, Bapak schaut sie ungläubig an. Und damit die Bedeutung ihrer Worte auch wirklich ankommt, wiederholt sie es noch einmal auf Indonesisch.
    »Kisah Riani!«, fragt Bapak fassungslos. »Seluruh cerita?«
    »Ja, alles, die ganze Geschichte.«
    Ibu schlägt die Hände vor ihr Gesicht. Sie tut Nica ein wenig leid, aber nur ein wenig.
    »Psst, leise!«, zischelt Emma neben ihnen.
    Vorne auf der Bühne deklamiert Kali mit lauter Stimme weiter:
    »Im Bett neben ihr liegt ein Mann,
    Der vom Alter ihr Vater sein kann.
    Er schlägt sie, wenn sie nicht will, wie er mag.
    Sie ist erst elf, doch der Mann ist im Recht und stark ... sehr stark.
    Weine, kleine Schwester, weine!
    Doch dann schreibt sie ’nen Brief, der den Neuanfang stört.
    Und du versprichst, sie wieder freizukaufen.
    Mohammed erlaubt, dass man sich scheidet,
    wenn die Braut jung ist und furchtbar leidet.
    Du schenkst ihr einen neuen Traum,
    versprichst ihr, dieser wird nicht zu Schaum.
    Doch die Zeit verrinnt und mit ihr ... der Traum.
    Weine, kleine Schwester, weine!
    Das Geld zu leihen, wär nicht schwer,
    doch es geht um mehr.
    Die Ehre der Familie steht auf dem Spiel,
    Gesichtsverlust, das bedeutet dir viel,
    viel mehr als ... das Glück deiner Tochter.
    Weine, kleine Schwester, weine!
    Die Zeit läuft ... und läuft ...,
    und dann ist’s zu spät,
    die Geburt der Tochter ihr zur Todesfalle gerät.
    Ihr Leben fortgeschwemmt von der Welle aus Blut,
    Doch die Ehre gerettet, der Jubel tut gut.
    Ein Brief aus der Heimat die Wahrheit verrät:
    Es ist zu spät!
    Nun schreien alle weh und ach!
    Ihr Körper war für die Geburt zu schwach.
    Ein Kind bringt ein Kind zur Welt,
    weil du für den Neuanfang brauchtest Geld.
    Weine, kleine Schwester, weine!
    Du hattest deinen Neuanfang.
    Nun hat er für immer einen blutigen Klang.
    Verkauft hast du der Tochter Glück,
    weggeschwemmt ihre Träume Stück für Stück.
    Sie war nur ein Mädchen, ein Kind ohne Recht.
    Sie gehorchte dir, aber das bekam ihr schlecht.
    Nun ist sie tot, liegt still in ihrem Blut.
    Ihre Tochter tot neben ihr ruht.
    Vielleicht ist das auch besser so!
    Denn auch sie war nur ein Mädchen,
    ein Kind ohne Recht.
    Träume sind Schäume,
    wenn du auf der falschen Seite geboren bist.«
    Es ist ganz still im Saal, als Kali fertig ist. Und in die Stille hinein springt Bapak auf und schreit mit sich überschlagender Stimme: »Es war Schicksal!«
    »Nein, Bapak,
du
hast Schicksal gespielt!«
    »Aku mengutukmu. Ich verfluche dich!«, murmelt Bapak, während er kreidebleich auf seinen Stuhl zurückfällt.
    Alle Blicke sind auf ihn und Ibu gerichtet.
    Ibu sitzt zusammengesunken da, die Hände in ihrem Gesicht verborgen. »Ini adalah takdir! Ini adalah takdir!«
    »Es war kein Schicksal, Ibu. Es war Bapak! Riani könnte noch leben«, sagt Nica. Als Ibu leise anfängt zu weinen, steht sie auf und streichelt ihr über den Kopf. »Es tut mir leid, Ibu.«
    Dann klettert sie zu Kali auf die Bühne, die sie Hand in Hand verlassen, während im Publikum die Welle der Empörung über Ibu und Bapak zusammenschlägt.

Carolin Philipps
    wurde 1954 in Meppen geboren. Sie hat Geschichte und Anglistik in Hannover und Bonn studiert, ist mit einem Vietnamesen verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne. Im Zentrum ihrer Geschichten stehen aktuelle politische Themen und Menschen, die anders sind als die Norm.

Vollständige E-Book-Ausgabe der 2013 im Ueberreuter Verlag erschienenen Buchausgabe.
    ISBN E-Book 978-3-7641-9008-8
    ISBN Printausgabe 978-3-8000-5720-7
    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden. Übereinstimmungen und