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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition)
Autoren: Amy Silver
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dann lächelte er. «Ich steh im Moment mehr auf französisches Kino. Hast du Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen gesehen?» Ich schüttelte den Kopf. «Der ist toll. Es geht um Wahnsinn, Liebe und Besessenheit. Und ums Ficken. Hauptsächlich ums Ficken.»
    Bei dem Wort zuckte ich zusammen. Ich hatte noch nie gehört, dass irgendjemand es in einem normalen Gespräch benutzte.
    «Klingt cool», sagte ich. Wir verfielen wieder in Schweigen.
    Die Party kam langsam in Schwung, die Musik wurde noch lauter aufgedreht, einige Frauen lachten schrill. Ich hörte, wie mein Vater, der nur wenige Meter von uns entfernt stand, einem seiner Freunde einen schmutzigen Witz erzählte, der überhaupt nicht komisch war. Es war mir peinlich, dass auch Julian ihn hörte. Ich zeigte auf seinen Becher.
    «Willst du noch einen?»
    «Ja, klar.»
    Die Küche war jetzt zum Bersten voll, was mir sehr gelegen kam, weil ich dadurch umso leichter unbeobachtet an den Weinbrand kam. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah, dass meine Mutter immer noch am Küchenschrank lehnte, immer noch ein Glas Wein in der Hand (wahrscheinlich nicht mehr dasselbe) und sich immer noch mit Charles unterhielt.
    Zurück im Wohnzimmer gab ich Julian seinen Drink. «Hey», sagte er und deutete mir mit einer Geste an, mich zu ihm herunterzubeugen. «Wollen wir irgendwo heimlich eine rauchen?»
    «Hmmm. Wir könnten in mein Zimmer gehen.» Ich fasste es selbst kaum, was da gerade über meine Lippen gekommen war. Ich hatte Julian Symonds in mein Zimmer eingeladen! «Aber nicht zusammen. Ich zuerst, und du kommst dann in einer Minute nach. Mein Vater … Du weißt schon, er ist …»
    «… ein bisschen überfürsorglich?», schlug Julian vor. Ich nickte, obwohl ich es wohl eher anders formuliert hätte, aber egal.
    Ich schlich unbemerkt aus dem Wohnzimmer und die Treppe hinauf. Glücklicherweise machte niemand eine Bemerkung. Oben fegte ich eiligst durch mein Zimmer und versuchte alles auch nur entfernt Peinliche zu verstecken: den hautfarbenen BH Größe 75A zum Beispiel und meine zerlesene Ausgabe von Reiter von Jilly Cooper. Dann setzte ich mich auf mein Bett, lehnte mich zurück und versuchte cool zu wirken, so als wären ständig ältere Jungs bei mir im Zimmer zu Besuch.
    Nach ein paar Minuten klopfte es leise. Julian steckte den Kopf durch die Tür und lächelte.
    «Kann ich reinkommen?»
    Zum Glück saß ich schon, denn in diesem Augenblick wäre ich beinahe ohnmächtig geworden vor lauter Aufregung. Julian schlenderte langsam durch mein Zimmer, nahm Sachen in die Hand, begutachtete sie und legte sie wieder hin. Die ganze Zeit verzog er dabei keine Miene, bis er das Poster bemerkte, das an der Kleiderschranktür hing. Der Kuss von Gustav Klimt. Julian grinste.
    «Magst du Klimt nicht?», fragte ich enttäuscht. Wie konnte er ausgerechnet über Klimt lachen? Ich hatte gedacht, dass gerade der nicht peinlich war.
    Er zuckte mit den Schultern. «Ist das nicht ein ziemliches Klischee? Haben nicht alle vierzehnjährigen Mädchen den Kuss in ihrem Zimmer hängen?»
    Vierzehn? Er dachte, ich wäre vierzehn! Das machte beinahe wett, dass er Klimt nicht mochte.
    «Mir gefällt das Bild», erwiderte ich. «Ich könnte es stundenlang ansehen.»
    «Das ist ein Argument.» Er setzte sich ans Fußende meines Betts und zog eine Schachtel Zigaretten aus der Jackentasche. «Willst du eine?»
    Eigentlich nicht. Ich hatte schon mal geraucht und keine besonders guten Erinnerungen daran. Trotzdem nahm ich eine Zigarette und stand auf, um die Tür abzuschließen.
    «Falls irgendjemand nach oben kommt.» Julian öffnete das Fenster über meinem Bett, damit der Qualm abziehen konnte, zündete seine Zigarette an und gab mir das Feuerzeug. Ich steckte meine ebenfalls an und unterdrückte einen Hustenanfall, als ich den ersten Zug in die Lunge bekam.
    «Klimt ist schon okay», sagte Julian, «aber nicht mein Ding. Ich mag Rothko. Rothko, Hofmann, Newman – die Farbfeldmaler. Magst du Rothko?»
    Ich hatte keine Ahnung, wer Rothko war, ich hatte noch nie von ihm gehört, geschweige denn von Hofmann oder Newman und schon gar nicht von den Farbfeldmalern.
    «Ich glaube, ich kenne seine Arbeiten nicht», antwortete ich und kam mir vor wie ein Idiot.
    Doch Julian behandelte mich gar nicht so. «Schau dir seine Sachen mal an», sagte er und klang plötzlich viel fröhlicher, beinahe enthusiastisch. Einen Augenblick lang ließ er die coole Maske fallen. «Mark Rothko war ein Genie, ein
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