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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition)
Autoren: Amy Silver
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Fahrradfahren beigebracht, Schwimmen, Browniesbacken, Billardspielen – Dad hatte mir überhaupt nichts beigebracht, abgesehen vom Angeln vielleicht. Und Fluchen. Warum also, fragte ich mich damals, glaubte Mom, dass sie alles falsch machte?
    Vielleicht waren meine Eltern irgendwann einmal glücklich miteinander gewesen, aber dann konnte ich mich nicht daran erinnern. Als ich ganz klein war, hatten Dad und ich uns besser verstanden. Daran zumindest erinnerte ich mich. Damals waren Dad und ich Freunde gewesen. Das war jedoch lange her. Seit Jahren war die Stimmung bei uns angespannt, wenn Dad da war. Mom und ich sprachen dann bewusst leiser; wir machten uns klein. Wir schlichen auf Zehenspitzen herum und versuchten, ihm nicht im Weg zu sein. Mit unserer Familie war schon seit einiger Zeit nicht mehr alles in Ordnung, und es wurde schlimmer. Dauernd gab es lautstarken Streit. Und seit einer Weile blieb es nicht mehr bei Gebrüll; neuerdings ging meistens etwas kaputt – ein Stuhl, ein Teller, ein Fenster oder auch mein erster, wohlgehüteter Sony Discman.
    Das mit dem Discman war ein paar Wochen vor Weihnachten passiert. Das Gerät selbst war bei dem Streit gar nicht wichtig gewesen; es hatte überhaupt nichts damit zu tun. Der Discman war ein unbeteiligter Dritter. Bei dem Streit ging es um ein Hemd. Ein ungebügeltes Hemd. Mom, die als Oberschwester im Krankenhaus arbeitete, musste eine Doppelschicht in der Notaufnahme übernehmen, weil eine ihrer Kolleginnen wegen familiärer Probleme (sprich: Kater) zu Hause blieb. Statt abends um halb sieben kam sie erst nachts um zwei Uhr nach Hause und ging sofort schlafen. Ohne das Hemd zu bügeln, das mein Vater am nächsten Tag zur Arbeit anziehen wollte. Eine echte Katastrophe, wie sich herausstellen sollte.
    Als ich mich morgens für die Schule fertig machte, hörte ich ihn brüllen. «Ich habe heute eine Besprechung, Elizabeth! Mein Gott! Kannst du nie irgendwas tun, worum ich dich bitte? Blaues Hemd, grauer Anzug, das habe ich dir doch gesagt. Warum verdammt noch mal ist es so schwer, sich das zu merken? Du hörst einfach nicht zu, oder?» Ich stand im Flur und spähte durch die Schlafzimmertür. Dad schüttelte Mom, weil sie noch schlief.
    «Ist ja schon gut», hörte ich sie sagen, während sie auf dem Nachttisch nach ihrer Brille tastete, «ich mache es sofort.»
    «Jetzt ist es zu spät, es ist jetzt verdammt noch mal zu spät, kapierst du das? Oder willst du, dass ich auch noch zu spät zur Arbeit komme? Willst du das? Willst du, dass ich im Büro wie der letzte Idiot aussehe?» Er schob mich zur Seite und rannte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Mom lief ihm hinterher und warf mir einen entschuldigenden Blick zu, als sie an mir vorbeikam. Als ob sie sich hätte entschuldigen müssen!
    Ich verharrte oben auf dem Treppenabsatz, wollte den Streit eigentlich nicht mit anhören, der jetzt unten weiterging, konnte mich aber nicht bewegen.
    «Das ist wichtig für mich, Elizabeth!», schrie Dad. «Diese Besprechung ist verdammt wichtig. Mein Gott, wenn du nur halb so viele Gedanken an mich und diese Familie verschwenden würdest wie an deine Patienten, wäre alles in Ordnung.» Ich hörte, wie unten das Bügelbrett von seinem Platz neben der Waschmaschine genommen und aufgestellt wurde.
    «Ich habe es dir gesagt! Ich muss jetzt los, es ist zu spät! Aber könntest du mir wenigstens einen Gefallen tun? Nur einen einzigen?»
    «Was denn, Jack?» Moms Stimme war betont ruhig und klar, wie immer, wenn sie ihn nicht provozieren, aber auch zeigen wollte, dass sie sich nicht vor ihm fürchtete.
    «Räumst du diesen Saustall auf?» Krach. Irgendetwas ging zu Bruch. Mein Discman hatte gerade Bekanntschaft mit der Küchenwand geschlossen, wie ich später feststellte. «Hier sieht es aus, als ob seit Wochen niemand sauber gemacht hat.»

    Das war ihr letzter großer Streit gewesen. Seitdem, also von Weihnachten bis Silvester, herrschte Ruhe bei Familie Blake. Dad musste nicht arbeiten, was seine Stimmung deutlich hob, und – noch besser – Onkel Chris war über die Feiertage zu Besuch. Chris, Dads älterer Bruder, schien einen beruhigenden Einfluss auf ihn zu haben. Dad ließ mit sich reden, wenn Chris dabei war. Und trotz erheblicher Provokationen – Mom musste bis spät abends arbeiten, es regnete andauernd, England versagte komplett in der zweiten Runde der Kricket-Meisterschaft gegen Australien – bekam Dad nicht einen einzigen Wutanfall.
    Ich
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