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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst
Autoren: Dan Wells
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Sie zu diesem Zeitpunkt anderswo waren.«
    »Ich habe mich versteckt«, erkläre ich. Vanek ist ein Flegel, aber er ist nicht dumm. Vielleicht erkennt er die Wahrheit. »Sie müssen mich hier rausholen. Über all dies können wir auch in Ihrer Praxis reden oder wo immer Sie wollen, aber nicht hier.«
    »Ich bin nicht gekommen, um Sie herauszuholen«, erwidert er und starrt mich an. »Ich überwache Ihre Verlegung und Ihre Einweisung in die Powell-Klinik für Psychiatrie. Dr. Sardinha empfiehlt die höchste Sicherheitsstufe, intensive Therapie und Neuroleptika.«
    »Neuro… was?«
    »Mittel gegen Psychosen«, erklärt Vanek. »Sie sind kein normaler gewalttätiger Patient mehr, Michael. Sie gelten jetzt als gewalttätig und schizophren. Das ist in den Augen unserer Medizin und Rechtsprechung eine höchst unerfreuliche Kombination.«
    »Ich bin nicht verrückt.«
    »Bitte, Michael, wir reden lieber von psychisch abweichenden Patienten.«
    »Ich habe auch keine multiplen Persönlichkeiten.«
    Vanek lacht. Es ist ein hässliches Geräusch wie ein Bellen. »Verdammt sei derjenige, der diesen Irrtum in die Welt gesetzt hat. Schizophrenie hat nichts mit multiplen Persönlichkeiten zu tun. Es bedeutet, dass Ihr Gehirn auf Reize reagiert, die nicht vorhanden sind. Sie sehen Dinge, Sie hören Stimmen und Geräusche, die nicht real sind, wie diese Gesichtslosen, und Sie sind para­noid und glauben, es gäbe irgendeinen Plan, Sie zu verfolgen und zu überwachen.«
    Verzweifelt richte ich mich auf. Die Gurte hindern mich daran, mich zu ihm vorzubeugen. »Ich bin weder verrückt«, entgegne ich rasch, »noch paranoid.«
    »Bitte, Michael«, sagt er, während er mich über den Brillenrand hinweg beäugt. »Sie sind schon Ihr ganzes Leben lang paranoid. Das ist bei jemandem, der bereits vor seiner Geburt entführt wurde, durchaus verständlich, aber die Begriffe vernünftig und gesund fallen in eine andere Kategorie.«
    »Das hat doch nichts mit meiner Mutter zu tun«, wehre ich ab. Es ärgert mich, dass er das jetzt zur Sprache bringt. »Um alles in der Welt, glauben Sie mir! Die gesichtslosen Männer sind real – gestern Abend war einer hier. Ich habe ihn gesehen!«
    »Ja, natürlich haben Sie ihn gesehen«, wehrt Vanek ab. »Das habe ich Ihnen doch gerade erklärt – Sie sehen Dinge, die Ihr Gehirn als real einstuft. So etwas nennt man Halluzination.«
    »Er war wirklich da«, beharre ich. Wie kann ich ihn nur davon überzeugen? »Er war so real wie … wie diese Wand, wie der Stuhl. So real wie Sie und ich.«
    »Die Realität.« Vanek beugt sich mit gerunzelter Stirn vor und macht eine unbestimmte Geste. »Stellen Sie es sich mal so vor: Das menschliche Gehirn hat keinen direkten Zugriff auf die Realität – das gilt für Sie, für mich und für alle anderen Menschen. Wir nehmen nur das wahr, was durch die Sinne gefiltert wurde, also durch Augen, Ohren und so weiter. Das Gehirn erfährt alles aus zweiter Hand, verarbeitet diese Informationen und rekonstruiert daraus ein möglichst exaktes Abbild der Realität. Bei den meisten Menschen klappt das ganz gut, aber die Schizophrenie stört dieses System. Das Signal wird irgendwo auf dem Weg von den Sinnesorganen zum Gehirn verzerrt, und daher ist das Abbild der Realität, das im Gehirn erzeugt wird, voller Zusätze, voller künstlicher Informationen. Manche Menschen hören Stimmen, andere sehen Gesichter, Farben und anderes. Einfach ausgedrückt, unterscheidet sich die Realität, die Sie wahrnehmen, von der tatsächlich existierenden Realität.«
    »Das ist doch lächerlich«, widerspreche ich. »Mein Gehirn tut so was nicht.«
    »In gewissem Ausmaß tun das die Gehirne aller Menschen. Wofür halten Sie einen Traum? Er ist eine falsche Realität, die Ihr Gehirn aus erinnerten Reizen erschafft, und die Lücken, auf die es dabei trifft, füllt es selbst. Der Unterschied liegt natürlich darin, dass ein Traum etwas Gesundes ist, während dies auf eine Halluzination nicht zutrifft.«
    Ich schüttele den Kopf. Nicht genug damit, dass ich eingesperrt bin, ich stoße auch auf Unglauben und werde studiert und was weiß ich nicht alles. Mit jedem Wort, das er sagt, schwinden meine Aussichten auf Entkommen. »Das ist …« Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. »Das ist dumm, unfair und … illegal.« Ich zerre an den Gurten. »Sie können doch nicht behaupten, ich sei verrückt, nur weil ich etwas wahrgenommen habe, das Sie nicht gesehen haben. Was … was ist mit Gott? Können Sie
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