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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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aus dem Auto geschleudert hatte. Sein Tod hatte auf einmal jegliche entschuldigende Revolutionsromantik verloren. Alle Verdrängungsmechanismen waren für immer ausgeschaltet. Ein Gefühl totaler Ohnmacht überfiel mich. Ich werde es stets als Schuld empfinden. Julia weinte hemmungslos.
    Der Empfang bei Abdul Latifs Familie war wieder sehr herzlich. Sie nahmen Julia und mich wie alte Freunde auf. Zwar wurde Julia wie üblich erst einmal in die Frauengemächer verfrachtet. Aber nach einer halben Stunde holte ich sie dort wieder raus. Besonders glücklich war Abdul Latifs Mutter über unsere Rückkehr. Sie sah darin erneut eine Ehrung ihres Sohnes. Sie lachte, scherzte und weinte mit uns.
    Am nächsten Tag brachen wir mit Ahmad und Khaldoun ins Tal der Flammen auf. Zum Ort des Anschlags. Obwohl dort seit Monaten nicht mehr gekämpft wurde, hatten die beiden die Fahrt ständig hinausgeschoben. Sie wollten mit uns gemeinsam hin.
    Am Stadtausgang von Bengasi ging es an einem ehemaligen Trainingslager für Rebellen vorbei. Hier waren Studenten, Handwerker, Zahnärzte im Schnelldurchgang zu Freiheitskämpfern ausgebildet worden. Auch Gaddafi soll in Bengasi einst ein Ausbildungszentrum für Revolutionäre betrieben haben. Charles Taylor, Laurent Kabila und andere sollen hier trainiert haben.
    In Adschdabiya legten wir einen kurzen Halt ein. Verbrannte Bäume reckten ihre verkohlten Äste in den kalten, grauen Himmel. Das Kommandogebäude der Rebellen war fast völlig zerstört. Nur wenige Stunden nach unserer damaligen Abfahrt waren Raketen und Granaten eingeschlagen. An einer Wand hingen Fotos von Einwohnern, die in den Morgenstunden des 15. März getötet worden waren. Unter ihnen zwei kleine Kinder. Ein vierjähriges wunderhübsches Mädchen und ihr achtjähriger Bruder. Die Augen weit aufgerissen, als ahnten sie, dass sie nur noch kurze Zeit zu leben hatten.
    Vor Brega tauchen die sieben ausgebrannten Autos auf. Jemand hat Abdul Latifs Auto von der Straße geschoben. Es steht nun auf dem Kopf. Wie am 14. März ist das Wetter windig.
    Mit gesenktem Blick gehen Ahmad und Khaldoun auf das Wrack zu. Tränen laufen über ihre Gesichter. Das also ist der Ort, an dem eine Rakete den wichtigsten Menschen ihres Lebens vernichtete. Um irgendetwas zu tun, sammeln Ahmad und Khaldoun die Stoßstange und andere Autoteile auf, die bis zu 70 Meter weit weggeschleudert wurden. Sie verstauen sie in ihrem Wagen. Wozu, wissen sie selbst nicht.
    Dann suchen sie das Wrack nach Erinnerungsstücken ab. Nach irgendetwas, was von ihrem Vater und Bruder übrig geblieben sein könnte. Sie finden sein verkohltes Brillenetui. Seinen zusammengeschmolzenen Computer. Die Reste seines Handys, das nie mehr antwortete. Dann forschen sie neben und unter dem Auto weiter. Wie Goldsucher durchsieben sie den Sand. Sie finden eine Plakette, auf der Abdul Latifs Name noch deutlich lesbar ist. Demnach durfte er den Wagen noch drei Monate fahren.
    Überall liegen Splitter der Rakete. Sie sind das Einzige, was Ahmad und Khaldoun nicht in ihr Auto tragen. Fast feierlich übergibt mir Ahmad meine verbrannte und verbogene Brille sowie drei geschmolzene Euro-Münzen.
    Khaldoun lässt beim Suchen seine Sonnenbrille an. Niemand soll seine Trauer sehen. Schweigend steckt er die auf einen Stock gezogene Freiheitsflagge Libyens ins Autowrack und zurrt sie fest. Ein steifer Wind ist aufgekommen. Wie damals. Fast trotzig flattert die Fahne im Wind.
    Wir machen uns auf die Suche nach der Abschussstelle der Rakete. Viereinhalb Kilometer weiter Richtung Brega sehen wir eine kleine Anhöhe. Von hier lässt sich die Straße kilometerweit überblicken. Wir versuchen, zu der Stelle vorzudringen, an der der Schütze lag. Doch das Gelände ist vermint. Ahmad zeigt uns zwei eingegrabene Minen, die nur Millimeter aus dem Sand ragen.
    Er bittet uns, keinen Meter weiterzugehen. Dann geht er auf Spurensuche. Nach ein paar Minuten findet er die Fährte eines Esels. In vermintem Gebiet könne man Eseln ausnahmsweise folgen, meint Ahmad. Vorsichtig bahnt er mir einen Weg zu dem flachen Hügel. Mehrfach zeigt er auf verminte Stellen. Julia bleibt zornig zurück. Sie hat keine Lust, an diesem Unglücksplatz auch noch auf eine Mine zu treten. Vor allem, nachdem sie am Straßenrand einen offen herumliegenden Sprengkörper entdeckt hat.
    Auf der Anhöhe finden Ahmad und ich sieben gut erhaltene mattgrüne Raketenhülsen. Sie sind etwa anderthalb Meter lang. »Fully loaded – voll geladen« steht
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