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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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zur Strecke. Eine Woche lang hat sie ihn mit ferngesteuerten Drohnen und speziellen Abhörgeräten auf Schritt und Tritt verfolgt.
    Am frühen Morgen des 20. Oktober 2011 greifen eine aus den USA gesteuerte Drohne und zwei französische Kampfflugzeuge seinen Konvoi in der Nähe seiner Heimatstadt Sirte an. Sie zerstören mehrere seiner Fahrzeuge. Gaddafi flieht zu Fuß, schwer verletzt. Als er von den Rebellen festgenommen wird, wehrt er sich schon nicht mehr. Auch nicht, als sie ihn mit einer Eisenstange brutal vergewaltigen. Kurz danach stirbt er.
    Die NATO erklärt, ihre Intervention habe dem Schutz der Zivilbevölkerung gedient. Sie habe nicht gewusst, dass sich Gaddafi in dem Konvoi befinde.
    Der Krieg endet so, wie er begonnen hat. Mit einer erbärmlichen Lüge. Für die Mehrzahl der NATO -Offiziere sind Ehrlichkeit und Anstand noch immer zentrale Werte. Doch sie alle wissen, dass sich die NATO in Libyen ständig außerhalb ihres UN-Auftrags bewegte. Dass sie, um das nicht zugeben zu müssen, permanent die Unwahrheit sagte. Die neue NATO -Doktrin heißt lügen.
    Was ist aus dem erfolgreichsten Verteidigungsbündnis der Geschichte geworden? Dem wir fast 70 Jahre Frieden in Europa verdanken. Auch wenn seine ursprüngliche Aufgabe darin bestand: »To keep the Germans down, the Russians out and the Americans in.« 105
    Vor mir liegen Fotos des blutüberströmten, gequälten Gaddafi. Daneben Aufnahmen, auf denen Silvio Berlusconi seine Hände küsst, Tony Blair ihn glückselig in die Arme schließt und Nicolas Sarkozy sowie Barack Obama ihm strahlend die Hand schütteln. Welcher dieser angeblichen Verteidiger der westlichen Zivilisation hat den erbärmlichen Mord an Gaddafi je eine Schande für die NATO , eine Schande für die libysche Revolution, eine Schande für die Menschheit genannt?
    In Libyen ist mein Vertrauen in die Integrität der NATO erneut erschüttert worden. Auch meine Begeisterung für Revolutionen ist gestorben. Zumindest für gewaltsame Revolutionen werde ich mich nie mehr einsetzen. Sie sind genauso schlimm wie Kriege. Irrwege der Menschheit.
    Rückkehr ins Tal der Flammen
    Ich musste noch einmal nach Bengasi. Um Ahmad zu treffen. Ich brauchte eine letzte Aussprache über Abdul Latifs Tod. Im November 2011, kurz nach Gaddafis Tod, bereiteten wir unsere letzte Reise nach Libyen vor.
    Julia überprüfte noch einmal alle Fotos des Anschlags. Wie schon oft zuvor. Doch dieses Mal suchte sie mit der Lupe vor allem das Umfeld des Wagens ab. Auf allen Bildern. Zentimeter um Zentimeter. Sie fand nichts. Danach nahm sie noch einmal direkt das brennende Auto unter die Lupe, das sie schon hundertmal betrachtet hatte.
    Plötzlich, bei einer der zahllosen Aufnahmen, blieb ihr fast das Herz stehen. Vor dem riesigen orangefarbenen, schwarz umwölkten Feuerball lag etwas. Wenn auch verschwommen und durch Wüstengras halb verdeckt. Es konnten Rauchschwaden sein, abgerissene Autoteile, eine Stoßstange.
    Aber dieses dunstige, durchsichtige, hellblau-graue Etwas konn ten auch Körperteile eines auf den Rücken geschleuderten Menschen sein. Die Beine von Abdul Latif. Obwohl dieser beige und nicht bläuliche Hosen getragen hatte. Auch die Proportionen der Füße zu den Beinen stimmten nicht. Doch was hatte das zu bedeuten angesichts der Gluthitze eines alles verzerrenden, alles überstrahlenden Feuerballs?
    Aufgelöst, verzweifelt rief mich Julia an. Eine Stunde später schauten wir uns gemeinsam wieder und wieder das gespenstisch schemenhafte Bild an. Vieles passte plötzlich zusammen. Die Schilderungen Ahmads, die des Arztes, der Rettungsversuch der Rebellen und die verschwommenen Rauchschwaden, die Abdul Latif sein konnten – und waren.
    Wie aber war es möglich, dass Julia, mir und anderen nie aufgefallen war, dass vor dem Auto möglicherweise etwas, jemand lag? Die Bilder waren durch die Hände zahlloser Fernseh- und Zeitungsjournalisten gegangen und millionenfach gesehen worden. Selbst Abdul Latifs Familie besaß sie. Weil das menschliche Auge sich immer nur auf ein oder zwei Stellen eines Fotos konzentriert und nie das ganze Bild detektivisch absucht?
    Im Ergebnis erzählte mir das Foto nichts Neues. Ich hatte Ahmad und dem jungen Arzt von Tag zu Tag mehr geglaubt. Aber Glauben und Sehen sind zwei völlig verschiedene Dinge.
    Julias Entdeckung zwang mich, dem Sterben Abdul Latifs zuzusehen. Für immer das Bild vor Augen zu haben, wie er hilflos am Boden lag, nachdem ihn die Rakete zerschmettert und verbrannt
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