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Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
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sie gebraucht werden. Sie sind von der Revolution begeistert.
    Wir betreten die Intensivstation. Und sehen wieder das andere, dunkle Gesicht der Revolution. Ein kleiner Junge starrt uns an. Aber er kann sich nicht mehr bewegen. Zwei Männer haben Kopfschüsse erlitten. Von Scharfschützen Gaddafis. Ihre Augenlider sind tiefschwarz, ihre Köpfe merkwürdig verdreht. Die Haut ihrer Arme, Hände und Füße ist gelb. Sie liegen im Koma. Ein paar Betten weiter erblicken wir eine wunderschöne junge Frau. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Sie heißt Nahla. Wir fragen ihre danebensitzende Mutter nach ihrer Verletzung. »Querschnittslähmung«, sagt sie. Nahla ist 20 Jahre alt.
    In einer abgeschotteten Ecke liegt eine dunkelhäutige Frau. Sie stammt aus Gaddafis berühmter Amazonengarde. »Nonnen der Wüste« wurden sie genannt. Laut Gaddafi sind sie alle Jungfrauen. Er hat sie angeblich persönlich im Schulalter in der Wüste ausgesucht. Danach haben sie jahrelang hartes militärisches Training erhalten. Gaddafis Kritiker behaupten, die Feinde hätten meist nur vor »Lust gezittert«, wenn die Amazonen aufgetaucht seien.
    Doch die schwarze Amazone im Zentralkrankenhaus hat Gaddafis Machtzentrale bis zuletzt tapfer verteidigt. Als die Gebäude gestürmt wurden, erhielt sie Schüsse in Bauch und Beine. Sie bekennt sich auch heute noch zu Gaddafi. Trotz starker Schmerzen. Als Julia sie fragt, ob sie filmen darf, dreht sie sich voller Verachtung um.
    Nach einer Stunde in der penetrant riechenden Intensivstation mit all den dahinsiechenden, sterbenden Menschen zieht es uns an die frische Luft. Ali Alkerdasi, ein junger Assistenzarzt, begleitet uns. Er ist Rebell und Mediziner zugleich. Er berichtet, wie er und seine Mitstreiter im Handstreich Tripolis eroberten.
    Die Blitzbefreiung
    Wochenlang hatten sie sich auf diesen Tag vorbereitet. Ihre Waffen hatten sie klammen Gaddafi-Soldaten abgekauft. Über Satellitentelefon standen sie mit den Aufständischen der anderen Landesteile in Verbindung. In der dritten Augustwoche brachen Rebellen aus ganz Libyen Richtung Tripolis auf.
    Gleichzeitig trafen die Widerstandszellen in der Stadt letzte Vorbereitungen. Beim Freitagsgebet am 19. August wurde verschlüsselt durchgegeben, dass die Stunde null kurz bevorstehe. Beim Nachtgebet wiederholten die Imame der Stadt über Lautsprecher immer wieder das islamische Glaubensbekenntnis. Wie in einer Endlosschleife. Das war das vereinbarte Zeichen.
    Die Rebellen der Stadt stürmten zu Tausenden auf die Straßen. Sie verbarrikadierten sie mit Betten, Tischen, Schränken, Kühlschränken und Mülltonnen. Für die Kampffahrzeuge Gaddafis gab es kein Durchkommen mehr. Gleichzeitig drangen die Rebellen aus dem Umland in die Innenstadt ein. Angeblich standen schließlich fast 100000 Mann wenigen tausend Gaddafi-Soldaten gegenüber. Die Schlacht war geschlagen, bevor sie begonnen hatte. Ali freut sich über diesen Geniestreich. »Ein Blitzsieg. Ganz ohne die NATO «, lacht er.
    Es ist dunkel, als wir wieder an unserem Hotel ankommen. Dort wartet Aiman mit einem schwer bewaffneten, muskelbepackten Leibwächter. Er will sich erkundigen, ob wir noch existieren. Er sagt, er könne nicht mit dem Gedanken leben, dass uns jemand anderer entführen und umbringen werde als er. Aiman scheint ein hoffnungsloser Fall zu sein.
    Noch einmal rufe ich Ahmads Handy an. Ich würde morgen so gerne mit ihm zur großen Freiheitsfeier. Doch sein Telefon ist ausgeschaltet.
    Die Freiheitsfeier
    Am nächsten Morgen stehen wir kurz nach 6 Uhr auf dem Platz der Märtyrer. Zehntausende feierlich gekleidete Frauen und Männer sind schon hier. Manche haben die ganze Nacht durchgefeiert. Scharfschützen patrouillieren auf den Dächern. Der Grüne Platz macht heute seinem Namen alle Ehre. Um die Knie der Betenden zu schonen, ist er mit grünem Filz ausgelegt. Die Stimmung ist voller Erwartungsfreude. Über 40 Jahre haben die Menschen auf diesen Tag gewartet.
    Auch Abdul Latif. Heimlich klebe ich sein Foto auf eine alte Klimaanlage im ersten Obergeschoss eines Regierungsgebäudes. Und auf die große Nationalflagge hinter dem Podium. Hier wird gleich der Imam sprechen. Lange bleibe ich vor Abdul Latifs Bild stehen. Jetzt feiern wir das Fest der Freiheit doch noch zusammen.
    Kurz vor 7 Uhr geht ein Raunen durch die Menge. Wie auf ein geheimes Kommando stehen alle Männer und Frauen auf. Es sind jetzt Hunderttausende. Orkanartig braust der Ruf »Allahu Akbar – Gott ist größer« über
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