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Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie

Titel: Du sollst eventuell nicht töten - eine rabenschwarze Komödie
Autoren: Knaus Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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    Jawohl, zu den allerletzten Gästen habe auch der Nachbar gehört. Und ich sah lebhaft vor mir, wie alle Lövenichs in Richtung der mendelssohnschen Mauer wiesen. Mendelssohn selbst griff sich an die Kehle und lief puterrot an. In verzweifeltem Fluchtreflex rotierten seine Lauscher.
In seiner Fahrigkeit erinnerte er mich irgendwie an ein flirrendes Moskito. Auch mir brach der Schweiß aus und mein Gesicht simulierte einen Sonnenbrand.
    Damit nicht genug: Die Lövenichs erzählten nun auch in harmloser Art von unserer gemeinsamen Autofahrt. Uns sei der »Stoff ausgegangen« – nachdem der nunmehr gesuchte Verschollene im Zuge des bei ihm üblichen Alkoholismus′ alles ausgetrunken habe –, und da sei man mit Hilfe des einzig noch nüchtern verfügbaren Autofahrers (einem engen Freund der besagten Nachbarn) an die Tanke auf dem Kiez gebrummt und habe ein wenig Material nachgekauft. Sogar ein – im Übrigen sehr netter! – Streifenkollege der Herren hätte uns alle abgepasst, die deutliche Überladung des Wagens wohl konstatiert, uns aber wegen des friedlich-nüchternen Erscheinungsbildes der Wagenladung weiterfahren lassen … Und ob sie denn meinten, dem lieben Verschollenen könne etwas zugestoßen sein? Was ein ziemlich dicker Hund sein würde, denn der von allen so schmerzlich Vermisste sei zwar ein wahrer Hallodri mit einem schwersten Alkoholproblem, hätte doch aber erwiesenermaßen immer wieder letztlich intakt nach Hause gefunden. Zumal man ihn ja selbst ins Taxi gesetzt und selbiges auch bezahlt habe. Und ob er vielleicht nicht eher in einer seiner üblichen amourösen Verstrickungen eventuell mit einem seiner zahlreichen Groupies in ein Seebad oder so gefahren sei, um dort in absolut undramatischer Kontaktsperre seinen gut entwickelten Frühlingstrieben zu frönen? Er verfüge ja durchaus über einen gewissen
Ruf. Nämlich sowohl seinem Durst wie auch seiner Libido gerne Folge zu leisten …
     
    D ie Stimmen der Kriminaler verabschiedeten sich höflich. Schweigen hüben und drüben der Mauer. Dann Klingeln an Mendelssohns Tür. »Ich mache auf!«, flüsterte ich und legte meine schweißnasse Hand begütigend auf Mendelssohns zitternden Arm. »Lass uns in die Küche gehen! Wir haben die ganze Zeit in der Küche gesessen und wissen von nichts! Von gar nichts!«, zischte Mendelssohn. Wir stolperten mit weichen Beinen ins Haus, ich schleuderte Mendelssohn auf einen Küchenstuhl, schlug mir wie ein Gorilla mit der Faust vor die Brust, fühlte dadurch mein Selbstbewusstsein erstarken und ging zur Haustür.
    Wie harmlos die Staatsmacht aussah. So nett, so dick und so dünn. Wie aus einem Buch von Astrid Lindgren. Sie würden sicher nicht schlecht staunen, wenn ich jetzt fragte: »Was kann ich für Sie tun, Plum und Donnerkarlsson?« Komischerweise hatten die beiden ihre Stimmen vertauscht – aus dem dünnen Mann kam der Bariton, und aus dem gemütlich-dicken Gehäuse des anderen unpassend hoch der Tenor. Der uralte Schmähspruch aus Chorzeiten »Dumm, dümmer, Tenor« traf bestimmt nicht auf diesen Tenor hier zu. Dieser Tenor hatte statt einer Nase den spitzen Rüssel eines Blutsaugers, und seine stechenden weißblauen Augen scannten mich in Sekundenschnelle vom hochroten Kopf bis zu den unruhigen Füßen. Hilflos hielt ich mich an den dünnen Bariton, der mich vertrauenerweckend an einen »Fieseler Storch« gemahnte.
Ich führte den Tenor und den Storch in die Küche, wo Mendelssohn am Küchentisch versuchte, seine stressrotgepunktete Rübe mit einem gelangweilten Ausdruck zu tarnen. Ich lehnte mich an den Küchenschrank und wirkte wohl so lässig wie ein Priesteramtsanwärter auf seiner ersten Bubenfreizeit. Der Tenor und der Storch sahen uns interessiert an. Ich fühlte meine Knie nachgeben und wusste, dass die beiden längst Bescheid wussten. Hier half nur noch: geständig sein und Reue zeigen. Und die Lövenichs reinreißen und ausliefern. Was hatte ich schließlich mit dieser Familie zu schaffen, dieser mordlüsternen? Mendelssohn hatte sicher gute Karten; einem Blinden traut doch niemand etwas Böses zu! Einem Blinden hilft man über die Straße! Aber man verhört ihn nicht! Leute wie mich verhört man! Der Storch erklärte kurz ihr Anliegen, während der Tenor weiterhin mit seinem durchdringenden Blick mein Wesen abtastete. Er war garantiert die beste Verhörmaschine seiner Abteilung. Und ich war überzeugt, dass er mit seinem magnetresonanztomographischen Blick inzwischen nicht nur meine
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