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Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)

Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)

Titel: Du kannst mich einfach nicht verstehen: Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden (German Edition)
Autoren: Deborah Tannen
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Frauen, von denen Veränderung verlangt wird, wenn geschlechtsspezifische Stilunterschiede aufgezeigt werden. Ich habe diese Reaktion im Zusammenhang mit meiner eigenen Arbeit erlebt. In einem Artikel, den ich für die Washington Post schrieb, schilderte ich ein Gespräch, das zwischen einem Ehepaar während einer Autofahrt stattgefunden hatte. Die Frau hatte gefragt: »Würdest du gern irgendwo anhalten, um was zu trinken?« Ihr Mann hatte – wahrheitsgemäß  – mit »Nein« geantwortet und nicht angehalten. Frustriert musste er später feststellen, dass seine Frau verärgert war, weil sie gern irgendwo Rast gemacht hätte. Er fragte sich: »Warum hat sie nicht einfach gesagt, was sie wollte? Warum spielt sie solche Spielchen mit mir?« Ich erklärte, dass die Frau nicht deshalb verärgert war, weil sie ihren Willen nicht bekommen hatte, sondern weil ihr Mann sich nicht dafür interessiert hatte, was sie gern gemacht hätte. Für sie stellte es sich so dar, dass sie Interesse für die Wünsche ihres Mannes gezeigt hatte, während er ihre Bedürfnisse ignoriert hatte. Ref 3
    In meiner Gesprächsanalyse betonte ich, dass der Mann und die Frau in diesem Beispiel einen unterschiedlichen, aber gleichwertigen Gesprächsstil zeigten. Dieser Aspekt ging verloren, als der Artikel in einer stark gekürzten Fassung im Toronto Star erschien, wo man mich den Rat geben ließ: »Die Frau muss erkennen, dass die Antwort ›Ja‹ oder ›Nein‹ keineswegs bedeutet, dass ihr Mann nicht verhandlungsbereit ist.« Der Redakteur vom Star hatte die unmittelbar vorausgehende Textstelle gestrichen, die lautete: »Um zu verstehen, was dieses Missverständnis auslöste, muss der Mann erkennen, dass die Frau nicht um konkrete Information nachsucht, wenn sie ihn nach seinen Wünschen fragt, sondern aushandeln möchte, was beiden gefallen würde. Die Frau ihrerseits muss erkennen, dass…« Durch die geschickte Handhabung des redaktionellen Kürzungsmessers hatte sich meine Forderung, dass beide, Frauen und Männer, Zugeständnisse machen sollten, in die Forderung verwandelt, dass Frauen sich einseitig anstrengen sollten, um die Männer zu verstehen. Frauen über etwas zu informieren, was sie allein »erkennen« müssen, impliziert, dass das Verhalten des Mannes richtig, das der Frau falsch ist. Diese gekürzte Version wurde in einem Lehrbuch nachgedruckt, womit der Fehler weite Verbreitung fand.
    Wir alle wissen, dass wir einzigartig sind, doch wir neigen dazu, andere als Repräsentanten von Gruppen zu betrachten. Das ist eine natürliche Tendenz, weil wir die Welt in vorgegebenen Bildern sehen müssen, um ihr Sinn zu geben; wir wären nicht in der Lage, mit dem täglichen Ansturm von Menschen und Dingen umzugehen, wenn wir unsere Eindrücke nicht zu einem großen Teil voraussagen könnten und nicht das Gefühl hätten zu wissen, wen und was wir vor uns haben.
    Aber diese natürliche und nützliche Fähigkeit, ähnliche Muster zu erkennen, hat unglückselige Folgen. Einen einzelnen Menschen auf eine Kategorie zu reduzieren ist nicht nur kränkend, es ist auch irreführend. Männer und Frauen in Kategorien einzuordnen birgt die Gefahr, diesen Reduktionismus zu verstärken.
    Verallgemeinerungen decken zwar Ähnlichkeiten ab, aber sie verwischen die Unterschiede. Jeder Mensch wird von unzähligen Einflüssen wie Volkszugehörigkeit, Religion, Klasse, Rasse, Alter, Beruf und von der Region, in der er und seine Angehörigen leben, und vielen anderen Gruppenidentitäten geprägt – von Einflüssen, die sich alle mit seiner Persönlichkeit und seinen individuellen Vorlieben und Abneigungen vermischen. Wir fassen andere leicht in einer oder einigen wenigen Kategorien zusammen, wie zum Beispiel »Südstaaten-Schönheit«, »jüdischer Intellektueller aus New York«, »Boston-Konservativer« oder »heißblütiger Italiener«. Obwohl diese Kategorisierungen vielleicht auf einzelne Verhaltensweisen der so beschriebenen Personen hindeuten, lassen sie mehr aus, als sie umfassen. Jeder Mensch unterscheidet sich auf mannigfaltige Art völlig von anderen – auch von allen anderen Angehörigen derselben Kategorie.
    Trotz dieser Gefahren beteilige ich mich an der wachsenden Diskussion über Sprache und Geschlecht, weil es gefährlicher ist, Unterschiede zu ignorieren, als sie zu benennen. Wenn man etwas Großes unter den Teppich kehrt, verschwindet es nicht; es wird zur Stolperfalle und lässt einen der Länge nach hinschlagen, wenn man durchs Zimmer
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