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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin
Autoren: E Bailey
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nicht, wie ich mir eine potenzielle Elternmörderin vorgestellt hatte, aber auf keinen Fall wie diese dünne, blasse Kreatur, die hinter Mrs Deane herschlurfte. Ich lehnte mich näher an das Fenster, weil ich mir einen deutlicheren Blick verschaffen wollte. Als die beiden Gestalten aus dem Bild verschwanden, drehte ich mich zu Ami um. Mein Herz raste.
    Ami sah auf. »Was ist?«
    »Ich habe sie gesehen«, flüsterte ich. »Das neue Mädchen.«
    Amis Augen weiteten sich. »Wie sah sie aus?«
    Ich kämpfte einen Moment und versuchte, zu beschreiben, was ich gerade gesehen hatte. »Sie sah … unscharf aus.«
    Ami seufzte. »Natürlich wieder diese dreckigen Fenster.«
    Ich gab keine Antwort. Mrs Deane hatte nicht verschwommen ausgesehen – nur das neue Mädchen. Sie schien defokussiert zu sein, so wie wenn man sich im letzten Moment bewegt, wenn jemand ein Foto machen will. Aber ich wusste, wie blöde das klingen würde, vor allem gegenüber der hypersensiblen Ami. Also hielt ich die Klappe und starrte auf die Klassenraumtür. Ich wartete.
    Alles an Mrs Deane war effizient. Die Art, wie sie klopfte. Die Art, wie sie sprach. Wie sie Räume betrat. Als ob sie eine eigene mathematische Formel entwickelt hätte, um sicherzugehen, dass nichts, was sie tat, Zeitverschwendung war. »Miss Falippi. Schüler. Dies ist Miranda Vaile.«
    Zweiundzwanzig Blicke taxierten das Mädchen, das neben Mrs Deane stand. Nahmen die kreideweiße Haut wahr. Das regengraue Haar, das schlapp von ihrem Kopf tröpfelte und über ihre gebeugten Altfrauenschultern fiel. Mirandas Schuluniform hing wie ein Bettlaken an einem Garderobenständer, als ob nicht genug von ihr vorhanden wäre, um sie ordentlich hochzuhalten.
    Ich musterte sie genauso neugierig wie alle anderen. Merkwürdig. Jetzt sah sie nicht mehr unscharf aus. Natürlich nicht. Es musste doch an den Fenstern gelegen haben . Oder meine Augen spielten verrückt . Aber da war tatsächlich etwas an Miranda, das es schwer machte, sich auf sie zu konzentrieren. Sie war ein so vollkommenes Nichts, dass einem der Blick entglitt, wenn man sie ansehen wollte, und sich auf den nächstbesten festen Gegenstand konzentrierte. Sie würde mit dem Hintergrund verschmelzen, nur dass der Hintergrund interessanter wäre.
    Katie runzelte die Nase und traf ihre Entscheidung. Die, die darüber entschied, wie jedermann diesen Neuankömmling behandeln würde. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, ätzte sie mit ihrer leisen, aber deutlich vernehmbaren Stimme. »Noch so ein Verkehrsunfall.«
    »Willkommen in Jubilee Park!«, begrüßte Miss Falippi Miranda und hielt ihr eine Hand entgegen. Miranda starrte sie ausdruckslos an. Die Hand zögerte und zuckte dann zurück dahin, wo sie hingehörte, zum Medaillon.
    »Da hinten ist ein freier Platz, Miranda«, sagte Miss Falippi, eindeutig aus der Fassung gebracht. »Neben Olive.« Dann schob sie Miranda mit Schwung in meine Richtung, so als würde sie Rauch wegwedeln wollen.
    Ich sah nach unten und fummelte mit meinen Büchern und Stiften herum. Warum war ich so kribbelig? Es sind diese Kopfschmerzen , redete ich mir ein. Dieses Summen . Als ich wusste, dass Miranda jetzt wirklich sehr nah war, blickte ich auf. Ich konnte nicht mehr widerstehen. Sie stand fast direkt vor mir, und ich merkte, dass ich ihr direkt in die Augen blickte. Im selben Moment erhob sich das Summen in meinem Kopf zu einem Crescendo, laut und hartnäckig wie ein Alarmsignal. Oh mein Gott …
    Das Gedächtnis ist so eine verquere Sache. Es gibt Dinge, Songs zum Beispiel, die ich buchstäblich nur einmal zu hören brauche und die dann für immer in meinem Hirn eingeschlossen sind. Andere Sachen, wie zum Beispiel algebraische Formeln, können mein Hirn betreten und wieder verlassen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Aber manchmal erinnert man sich an Zeugs, selbst wenn man nicht will. Von einigen Dingen weißt du, dass sie dir, bis ins kleinste Detail, für den ganzen Rest deines Lebens erhalten bleiben.
    Von dieser Art war der Moment, als ich das erste Mal Augenkontakt mit Miranda hatte. Ich zuckte zurück, als wäre ich geschlagen worden. Solche Augen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Die Pupillen schienen aus Metall zu sein, hart und blank poliert. Sie reflektierten mein eigenes Gesicht, das zurückstarrte.

ZWEI
    Draußen regnete es heftig, aber im Kinofoyer war es warm und dunkel. Alles am Mercury war alt. Die Teppichböden. Die Tapeten. Die Filme. Das Popcorn. Die Stars auf den durch
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