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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind /
Autoren: Sabine Kuegler
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Wohnhäuser, ein winziger Flugplatz, ein kleines Postamt, ein Versammlungsgebäude, ein Gasthaus und eine sehr kleine Schule. Wir hatten sogar einen Generator, der uns für ein paar Stunden am Tag mit Elektrizität versorgte. Durch die ganze Siedlung lief ein schmaler Hauptpfad, der aus nichts als kleinen Steinen bestand.
    Unser Holzhaus thronte auf einem Hügel mit einem wunderschönen Ausblick über den Danau Bira-See. Dort lebten wir, abgeschnitten von der Zivilisation, und schafften uns eine fast perfekte Welt. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade sieben Jahre alt, hatte kurze blonde Haare, blaue Augen und war spindeldürr. Als die Mittlere von uns drei Geschwistern war ich auch als die Wildeste bekannt, immer nur im Freien unterwegs und mit einer lebhaften Fantasie begabt. Meine Schwester Judith, zwei Jahre älter als ich, war die Ruhige, ein Künstlertyp. Sie saß lieber draußen auf einem Baum und malte, als mit den anderen herumzutoben. Mein Bruder Christian schließlich, zwei Jahre jünger als ich und mein treuester Anhänger, machte jede Verrücktheit mit und war als Werkzeug für all meine Ideen gut zu gebrauchen. Sein größter Vorteil war sein gutes Gedächtnis, was sich für mich allerdings oft nachteilig auswirkte – denn bei unseren häufigen Streitereien glaubte Mama ihm mehr als mir.
    Und meine Eltern? Sie hatten dieses ungewöhnliche Leben auf sich genommen, weil sie sich als Sprachforscher und Missionare auf eine neue, nie dagewesene Aufgabe vorbereiteten: auf das Leben mit einem gerade erst entdeckten Eingeborenenstamm.
    In unmittelbarer Umgebung von Danau Bira lebten zwei Stämme, die Dani und die Bauzi, die bereits seit längerer Zeit Kontakt zur so genannten Außenwelt hatten. Meinem Vater jedoch war es ein Jahr zuvor gelungen, auf einer seiner Expeditionen einen Stamm zu finden, den man bisher nur aus Legenden und Gerüchten kannte: die Fayu. Die Geschichte dieser Entdeckung ist unglaublich spannend – ich werde sie später ausführlicher erzählen. Mein Vater jedenfalls hielt sich seither immer wieder für einige Zeit bei den Fayu auf, in einer Gegend, die man nicht zu Unrecht das »Verlorene Tal« genannt hat.
    Und nun, an jenem Morgen im Januar 1980, war es so weit: Heute sollten wir Kinder und unsere Mutter diesen neuen Stamm kennen lernen.
     
    Schon am Morgen, als ich aufwachte, war es draußen heiß und stickig schwül. Die Sonne sandte ohne Mitleid ihre Strahlen auf uns herab. Keine Wolke war zu sehen, nur ein unendlicher hellblauer Himmel, der sich über den Horizont spannte. Die Vögel hatten sich im Buschwerk verkrochen, um der Hitze des Tages zu entgehen. Nur ein paar mutige Insekten zirpten Lieder aus ihren Verstecken im Wald.
    Ich war aufgeregt und hatte meine persönlichen Sachen schon in einem Rucksack verstaut. Am Abend zuvor hatte meine Mutter uns eine ausführliche Liste gegeben, die in zwei Spalten gegliedert war: »Einzupacken« stand über der einen, »Darf nicht mitgenommen werden« über der anderen. Ich habe bis heute niemanden kennen gelernt, der praktischer packen kann als meine Mutter.
    Nun fing Mama an, unsere Taschen noch einmal zu überprüfen. »Sabine«, fragte sie, »hast du auch alles so gepackt, wie wir es besprochen haben?«
    Ich schaute sie mit großen, unschuldigen Kulleraugen an. »Aber natürlich, Mama!«
    »Na, dann lass mal sehen«, sagte sie, und ich wusste schon, was dabei herauskommen würde.
    Seufzend öffnete ich den Rucksack, und Mama zog kopfschüttelnd die zwei Gläser mit meinen Lieblingsspinnen heraus.
    »Aber Mama«, sagte ich ganz verzweifelt, »die brauchen mich doch, ich bin doch ihre Mutter!«
    »Dann müssen sie eben eine neue Mutter finden«, wurde mir mitleidslos entgegnet.
    Wütend murrte ich: »Aber Judith hat auch Sachen eingepackt, die sie nicht mitnehmen darf!«
    Judith schaute mich entsetzt an. Aus ihrem Rucksack quollen schließlich Kunstbücher und ihr neues Kleid aus Deutschland.
    Minius, ein junger Mann vom Stamm der Dani, den wir aufgenommen hatten, half meiner Mutter, das Gepäck nach draußen zu schaffen. Mehrere Dani-Männer warteten darauf, unser Gepäck auf dem Boot zu verstauen, das uns zu dem kleinen Dschungelflughafen bringen sollte. Zu Fuß wäre der Weg zu beschwerlich gewesen. Ich trug eine lange Hose, ein kurzes Hemd und hatte, auf Befehl von Mama, auch eine Jacke dabei, verstand aber nicht, warum. Es war ja so heiß draußen! Kälte konnte ich mir in diesem Moment einfach nicht vorstellen.
    »Möchtest du
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