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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind /
Autoren: Sabine Kuegler
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den Motor ab. Es dauerte noch einige Zeit, bis der Propeller sich verlangsamte und schließlich zum Stehen kam. Dann war es plötzlich ganz still … kein Vogelgesang, keine Stimmen, kein Motorengeräusch. Sekunden später schlug uns die Hitze wie eine Faust ins Gesicht. Ich atmete vor Schreck tief ein und löste den Gurt, um meine Jacke auszuziehen. Neugierig schaute ich mich um – kein Mensch oder Tier war zu sehen, es sah alles ganz verlassen aus.
    In diesem Moment kam Papa um den Hubschrauber herum und hob mich heraus, küsste mich und sagte, ich solle am Rand des Platzes warten. Meine Beine fühlten sich schwach und wackelig an. Mama kletterte als Nächste aus dem Hubschrauber. Judith streckte, in ihrer eleganten Art, ihre Hand nach Papa aus. Er küsste sie und half ihr auszusteigen.
    »Papa, du stinkst, du brauchst ein Bad!«, rief sie. Papa lachte und hob Christian auf.
    »Nein, Papa«, sagte der, »du riechst ganz gut, und ich bin happy, dass wir bei dir sind.«
    »Na also«, erwiderte er, »endlich jemand, der sich freut, mich zu sehen!«
    Daraufhin antwortete Mama diplomatisch, dass sie sich auch freue, ihn zu sehen, dass ihm ein Bad aber trotzdem nicht schaden würde. Papa sah wirklich etwas ungewöhnlich aus. Ich hatte ihn nie zuvor mit Bart gesehen, und seine Haare hingen ihm in wilden Locken ins Gesicht. Er trug ein schweißnasses Halstuch und einen großen Sonnenhut. Spaßeshalber nannten wir ihn später »Moses«, wenn er sich wieder längere Zeit im Urwald aufgehalten hatte. Aber wir merkten schon jetzt: Im Urwald fühlte er sich wirklich wohl. Hier war er in seinem Element!
    Ich torkelte hinter Judith her. Kurz danach kam auch Christian zu uns. Wir standen und warteten, wussten nicht so recht, was wir machen sollten. Da hörte ich Papa in einer unbekannten Sprache Richtung Urwald rufen. Wir Kinder hielten gespannt Ausschau, was nun kam.
    Und kurze Zeit später sahen wir, wie mehrere Männer langsam aus dem Wald traten. Sie näherten sich uns leise, mit fast unhörbaren Schritten. Meine Geschwister und ich rückten vor Angst enger aneinander. Wir hatten noch nie solch wilde Menschen gesehen. Größer als die Eingeborenen der anderen Stämme, die wir bis jetzt kennen gelernt hatten, dunkelhäutig, mit krausem schwarzem Haar und vollkommen nackt. Teilweise bedeckten schwarze Straußenfedern ihren Kopf, lange, dünne Knochen zogen sich durch die Nasen; zwei davon zeigten nach oben, und einer ging quer durch die Nasenflügel. Über den Augenbrauen hatten sie zwei flache Knochen mit Baumrinde festgebunden. Sie trugen Pfeil und Bogen in einer Hand und Steinäxte in der anderen. Die Unbekannten umzingelten uns, starrten uns mit schwarzen, undurchdringlichen Augen an.
    Ihre Gesichter kamen mir gespenstisch und finster vor. Judith drückte meine Hand ganz fest, Christian versteckte sich hinter uns. Ich fühlte, dass meine große Schwester bald in Panik geraten würde, ihr Atem ging immer schneller. Mit ihren langen hellblonden Haaren zog sie die ganze Aufmerksamkeit der Krieger auf sich. Sie zuckte zurück, als einer von ihnen ihr Haar anfassen wollte.
    Ängstlich rief ich nach Papa. Als die Eingeborenen meine Stimme hörten, sprangen sie alle zurück. Da tauchte auch schon unser Retter auf. Papa redete mit den Männern wieder in jener Sprache, die ich nie zuvor gehört hatte. Danach wandte er sich zu uns und erklärte uns, dass dies Fayu-Männer seien, von der Stammesgruppe der Iyarike, und dass wir keine Angst zu haben brauchten. Sie seien nur neugierig, weil sie noch nie in ihrem Leben weiße Kinder gesehen hätten. Dann nahm Papa meine Hand und ging mit mir zu einem älteren Fayu-Mann. Er legte meine Hand in die des Fayu und sagte zu mir: »Das ist Häuptling Baou, der uns die Erlaubnis gegeben hat, hier zu wohnen.«
    Fayu vom Iyarike-Stamm kommen uns besuchen
    Häuptling Baou bückte sich plötzlich zu mir herunter, nahm mein Gesicht in seine Hände und kam mit seinem Kopf immer näher. Ich erschrak, weil ich dachte, er wolle mich jetzt auf den Mund küssen. Aber stattdessen drückte er seine verschwitzte Stirn auf die meine und rieb sie mehrmals. Papa lachte, als er meinen verblüfften Gesichtsausdruck sah. Er erklärte uns, dass die Fayu die Stirnen aneinander reiben, um sich zu begrüßen – ungefähr so, wie wir Europäer einander die Hand schütteln.
    Dasselbe taten die Fayu nun auch mit meinen Geschwistern. Wir hatten den Rest des Tages eine dunkle Stirn, einen Abdruck aus Schweiß und Schmutz
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