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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Welt band, mich unwiderruflich befreien. Vom Tango. Von Nieves. Das ist mir gelungen. Aber es war keine Wiedergeburt. Wer war ich denn jetzt noch? Nicht mehr El Loco, aber noch immer die Kreatur der Mörder meiner Mutter: Damián Alsina. Ich wollte dir alles sagen, aber ich konnte nicht. Ich schämte mich. Ich wollte nicht, dass wir aufhören, uns zu lieben. Der Himmel hat dir eine Schwester geschenkt, sagte ich mir, ein wundervolles Mädchen. Sei doch zufrieden. Vergiss ihren Vater. Was geschehen ist, ist geschehen. Es ist nicht mehr zu ändern. Hör auf, schlauer sein zu wollen als das Schicksal. Verzeih und lebe dein Leben. Aber ich konnte nicht. Alles war wie verhext. Als du am Dienstag weggefahren bist, bin ich den ganzen Tag durch die Stadt geirrt. Sollte ich einfach abreisen? Ich fuhr in deine Wohnung und versuchte, dir einen Brief zu schreiben. Dann tauchte ausgerechnet dein Vater auf. Er stand plötzlich im Zimmer. Ich hatte ihn gar nicht kommen hören … er stand da wie ein böser Geist aus einer Flasche. Und dann fing er an, mich zu beleidigen. Ich solle die Finger von dir lassen und so weiter. Und dann habe ich die Nerven verloren …«
    Er trank einen Schluck Wasser. Giulietta legte ihren Kopf auf seine Knie und zog ihre Beine auf die Couch hoch. Er streichelte ihr Haar, während er weitersprach.
    »… ich ließ ihn so zurück, weil ich nicht mehr weiter wusste. Du würdest ihn finden, und er würde dir alles erklären. So dachte ich jedenfalls. Ich hätte es nicht gekonnt. Selbst die ersten Tage in Buenos Aires war ich noch wie betäubt. Ich wusste nicht, wohin. Und dann begann der Horror …«
    »… Arquizo«, sagte sie.
    Er nickte. »Ich wohnte bei Nieves. Sie kamen am Samstag. Zu dritt. Sie warteten bereits seit zwei Stunden in der Wohnung auf mich. Der Concierge warnte mich, und so bin ich natürlich gar nicht mehr hinaufgegangen. Ich wartete gegenüber in einem Café. Am Abend fuhr Arquizo mit einem zweiten Mann weg. Der dritte war oben geblieben. Es war offensichtlich, dass Alsina sehr nervös war. Ich rief ihn an und fragte ihn, warum er mir seine Wachhunde auf den Hals geschickt hatte. Er sagte, er wolle mich sehen. Ich erwiderte, die Einladung klinge aber nicht sehr freundlich. Ob er möglicherweise einen Anruf aus Berlin bekommen habe? Ich kenne ihn zu gut. Seine Nerven lagen blank. Ich hatte befürchtet, dass dein Vater dir nicht die Wahrheit sagen würde. Aber ich hatte niemals damit gerechnet, dass er meinen Adoptivvater anrufen würde. Er muss ihm gehörige Angst eingejagt haben, denn sonst hätte mein Adoptivvater nicht so schnell reagiert. Aber ich hatte auch die Wahlen nicht mitbekommen. Die neue Regierung. Ich war ja in Berlin, als gewählt wurde. Er war so weit oben. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war eine Anzeige wegen Kindesraub. Er legte auf. Damit war alles klar. Er würde nicht ruhen, bis er mich unschädlich gemacht hatte. Deshalb ging ich zu Haydée und bat sie um Hilfe.«
    »Die Frau, die dich gefunden hat?«
    »Ja. Sie hat die entsprechenden Kontakte und kennt die Methoden dieser Verbrecher. Sie machte mir klar, dass ich ›sterben‹ musste. Der Autounfall war ihre Idee. Es gab keinen anderen Weg. Ich musste noch einmal verschwinden, um existieren zu können. In Spanien würde man mir Asyl gewähren. Es gibt dort einen mutigen Richter, der sich für Leute wie mich einsetzt. Aber ich musste zunächst lebend aus Argentinien herauskommen. Jede Stunde zählte. Sie besorgte die Leiche und kümmerte sich darum, dass meine Verfolger verfolgt wurden. So wussten wir immer, wo sie waren und was sie taten. Und dann hörte ich plötzlich, dass Arquizo ein junges Mädchen beschattete, das am Flughafen angekommen war …«
    Sie richtete sich auf. »Du wusstest von Anfang an, dass ich da war?«
    Er nickte. »Ich konnte nichts tun. Es war zu gefährlich. Sie waren laufend in deiner Nähe. Drei Mann. Haydée beschwor mich, jetzt auf keinen Fall ein Risiko einzugehen, sondern die Sache erst hinter mich zu bringen. Danach war Zeit genug. Es wäre ja auch so fast schief gegangen. Im Sunderland …«
    »Du meinst wirklich, sie hätten …«
    »Ja. Sicher. Das Letzte, was ich an jenem Abend gehört hatte, war, dass du mit meiner Mutter gesprochen hattest und dann ins Hotel zurückgekehrt warst. Haydées Leute wussten nicht, dass ich ins Sunderland fahren wollte, und ich habe mich auch nicht mehr bei ihnen gemeldet. Kein Mensch kennt diesen Club. Ich dachte, ich wäre dort so
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