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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4
Autoren: Christine Weiner
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und Augenbrauen gefärbt hatten. Die verpatzten dunklen Ränder standen einem noch wochenlang im Gesicht. Jetzt war natürlich alles nur noch »schööööön«!
    »Renate, den hast du doch gemacht!«, erinnerte sie Nele selig, als sie sich einen silbernen Armreif überstreifte, der einst ein Suppenlöffel gewesen war. Anno 1981, als Renate mit platt geklopptem Silberbesteck Geld verdienen wollte. Damals hatten unsere Großeltern das alte Silberbesteck ausrangiert, weil WMF viel schönere Modelle hatte, deren Legierung geschirrspülmaschinenfreundlich war. Auf Bergen von Silberbesteck hatten wir gesessen. In Frankreich hatte Renate unsere mitgenommenen Löffel in letzter Not zu Schmuck geformt, weil die fünfzig Mark pro Tag für drei eben doch nicht reichten, die wir für Sprit, Zeltplatz, Nahrung, Wein und Zigaretten bemessen hatten. »Was ist jetzt mit dem Zelt?«, wiederholte ich mich zitternd.
    »Ich glaub«, rief Wolfgang voller Begeisterung, »das wird in diesem Urlaub dein Zuhause sein.«
    »Wie? Ich kapier grad nichts«, versuchte ich mich zu winden, obwohl ich gerade sehr gut verstand. Noch nie hatte ich etwas schneller verstanden als dieses faule Überraschungsei. Das perfekte Geschenk für drei Freundinnen, die 1982 eine Reise verpasst haben: ein Urlaub in die Vergangenheit! Davon werden noch eure Urenkel erzählen, ist häufig der nächste Satz. Ich würde keine Urenkel bekommen, die was erzählen wollten, folglich konnte ich auch gehen. Aber nun tauchte ein großer Karton auf, angefüllt mit beschrifteten und unbeschrifteten Audiokassetten. Alle, wie Sarah stolz berichtete, auf diversen Dachböden, in Kellern und Schränken zusammengesucht. Herman van Veen, Grupo Sportivo, John Denver, Ton Steine Scherben, Bob Dylan, Patti Smith, Georg Danzer, Wolfgang Ambros, Jim Croce, Klaus Hoffmann, Konstantin Wecker, Fredl Fesl und, nicht zu vergessen: Bettina Wegners Sind so kleine Hände. Unsere Jugend war noch von den 70ern inspiriert, Balladen und Lieder mit Appell waren unsere Vorzugsware. Und wir liebten auch die Blödelbarden. Kinder und Kleintiere liegen mir nicht war damals der Gegensong zu den wegnerischen kleinen Händen gewesen.
    »Von wem war das Lied noch mal?«, stupste ich Renate an.
    »Ulrich Roski. Der ist auch schon tot.«
    »Genau, und deswegen müsst ihr die Reise machen.« Mit diesen Worten wurde uns der Autoschlüssel überreicht, der auf der Musikkiste lag. »Wir schenken euch ein Auto mit allem Drum und Dran. Einen R4, ganz original. Ihr müsst endlich den Italienurlaub nachholen, den ihr für 1982 geplant hattet. Und zwar genau so wie damals. Das ist unser Geschenk, wir haben alles vorbereitet – hey, ihr werdet noch mal jung!«
    Hey – fühlte ich mich vielleicht jung, auch wenn ich wechseljährig war!
    Und jetzt stand ich hier. Am helllichten Tag in Latzhose und vor einem wilden Durcheinander. Flink duckte ich mich weg, als ich eine Nachbarin aus dem Haus treten sah. Jetzt wäre eine Burka gut gewesen, Feminismus hin oder her. Himmel, Arsch und Zwirn! Dieses T-Shirt! Wie es biss und juckte! Das mussten die Milben aus dem Schlafsack sein. Noch eine Sekunde, und ich riss mir das Shirt vom Leib.
    »Ich hasse Milben!«, schrie ich Nele durch das Fenster in den Wagen an. Wütend trat Nele von innen so fest gegen die Tür, dass sie aufflog und ich vor Schreck einen Schritt zurücksprang. »Jetzt aber!« Nele gebot mir energisch, endlich Platz zu nehmen. Gequält und müde ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen, der seine besten Zeiten auch schon längst hinter sich hatte. Braunes Kunstleder.
    »Wir werden auf diesem Plastik festkleben«, drohte ich ihr. »Damals hatten wir noch keine Klimakatastrophe, es war lange nicht so heiß wie heute. Die Sitze werden schmelzen, und dann sitzen wir fest. Lass uns bitte schnell noch eine ADAC- Versicherung abschließen, damit uns jemand aus dem Plastik schweißen kann.«
    Nele zeigte mir einen Vogel.
    »Wir werden liegenbleiben, und du wirst dich ärgern«, prophezeite ich. »Mit Sitz am Hintern.«
    Ich kannte die Gefahren dieser frühen Wagen. Mit neunzehn hatte ich einen VW in Gelb besessen, den meine Eltern liebevoll »Kanari« nannten, weil sein Keilriemen so anrührend zwitscherte, wenn es einen Wetterwechsel gab.
    Dass der Wagen überhaupt ansprang, war eigentlich unfassbar. Nele musste eine Handvoll Viagra in den Tank geworfen haben.
    »Das ist eine Pistolenschaltung, kannst du damit noch umgehen?«, fragte ich etwas ängstlich, aber Nele
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