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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4
Autoren: Christine Weiner
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konnte auch das. Als sie den Gang endlich eingelegt hatte, drehte ihre Hand im Blindflug am eingebauten Radio. Ein dichtes Rauschen war die Konsequenz. »Such du mal!«, forderte sie mich auf. Aber die dürre Antenne, die man links am Kotflügel herausziehen musste, hatte nur einen erbärmlichen Empfang. Außerdem kamen nur dämliche Programme mit angeblich bester Oldiemusik. Es quälte mich, wenn man Rio Reiser und dieScherben gemeinsam mit No milk today in Schleifen dudelte. Aber für das provisorisch befestigte Kassettendeck, das klackernd vor sich hin wackelte, mangelte es uns an Kassetten. Die waren noch bei Renate, und vor ihrer persönlichen Mischung graute mir schon jetzt.
    »Gibt’s denn im Radio nur noch Scheiß?«, schimpfte ich auf das Radio ein, das ja nichts für die überdrehten Moderatoren konnte. Schnell drehte ich die akustische Umweltverschmutzung ab und sah mich ein bisschen um. Das hier waren wirklich die 80er! Alles original, und alles entsprechend durchgesessen und abgewetzt. Sogar einen ausziehbaren Aschenbecher hatte das Gefährt. Unglaublich! Und der Zigarettenanzünder konnte noch wirklich etwas entflammen und war nicht als Stromquelle gedacht. Wie weit weg das alles war! Ich hatte die Zeit vor Servolenkung, Klimaanlage und Zentralverrieglung bereits komplett verdrängt.
    »Von wem ist das Auto noch mal?«, erkundigte ich mich gegen das Scheppern des Motors.
    »Von einem Onkel von Carlas Mutter, einer der besten Freundinnen von Sarah.«
    »Und handelt der Onkel einer Mutter von Sarahs bester Freundin professionell mit Schrotthaufen, oder ist er mit dem Wagen einfach nur behilflich, wenn sich jemand das Leben nehmen will?«
    Noch immer versuchte ich mich anzuschnallen, aber es gelang mir nicht. War doch mir egal, wenn wir angehalten wurden. Lustlos klemmte ich den Gurt unter meinen Arm.
    »Nur damit du es weißt, ich bin NICHT angeschnallt!«, brüllte ich gegen die vielen Geräusche an. Meine Stimme klang wie Gegacker, denn der Sitz federte bei jeder Unebenheit der Straße nach. Früher waren auf diese Art Wehen eingeleitet worden. Von uns dreien war aber keine schwanger, und es war nicht absehbar, dass eine es noch mal werden würde. Viel wahrscheinlicher war, dass bei dieser Reise die eine oder andere Gebärmutter aus ihrem Gehäuse fiel. Vorsorglich zog ich die Latzhose etwas hoch.
    »Nele, Schätzchen, und so wollen wir nach Italien?«, startete ich einen neuen Versuch.
    »Irrtum«, wurde ich sofort berichtigt. »Wir dürfen nach Italien, und es wird eine wunderbare Zeit! Nun freu dich doch ein bisschen!«
    Nun freu dich doch ein bisschen …
    Ich freute mich ja. Und zwar genau in dem Maß, in dem ich Mottopartys für überflüssig hielt. Alles zu seiner Zeit, dachte ich und hoffte im Stillen, dass dem R4 auf den ersten Kilometern die Luft ausging und wir schon bald in einem gemütlichen Mietwagen sitzen würden. Vorsichtshalber hatte ich, den heiligen Regeln zum Trotz, heimlich ein Verzeichnis mit guten Hotels in meinen Rucksack gepackt.
    »Ob Renate schon ungeduldig ist?« Auch Nele zog sich an einer Ampel die Latzhose zurecht. Ich vermutete, dass ihr Baumwollschlüpfer kniff.
    »Keine Sorge, Renate wird sich schon die Zeit vertreiben. Sicherlich fängt sie gerade den Sauerteig ein und passt auf, dass Hefe und Kefir sich nicht zanken.«
    Denn die mussten ja auch alle mit, das hatte man mir gesagt. Und sicher wurden noch ein paar Joghurtkulturen eingepackt, denn die durften des Nachts nicht fehlen. Hübsch in Gläschen mit Milch, und dann rein in den Schlafsack und Klappe halten, denn ab jetzt wird gegärt!
    Butter, Käse, Joghurt machen – all das hatte Renate damals in ihrer Studenten- WG aus dem Effeff gelernt. Ich erinnerte mich sehr gut an die Emailleschüsseln, Laken und Siebe, mit denen sie sämiges Zeug produzierte, auf dem immer eine weißlich-gelbe Flüssigkeit stand. Allein die Erinnerung daran brachte mich zum Würgen. Die Sache mit dem hausgemachten Kefir war nicht besser. Oft hatten die Kefirpilze Namen, wie Hermann oder Harald, was sie einerseits nicht wohlschmeckender machte und andererseits aufzeigte, dass die Emanzipation noch nicht im Kühlschrank angekommen war, denn dann hätte Harald Heike heißen müssen. Harald und Hermann wohnten in alten Kaffeetassen, wurden mit etwas Milch und Wasser angefüttert und gärten dunkel und kühl zu kleinen Klumpen, die ebenfalls in einer weißen Brühe standen.
    »Dass eins klar ist«, erklärte ich mit bebender Stimme, »ich
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