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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4
Autoren: Christine Weiner
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Schmuck. Natürlich war es grandios, mit meinen allerbesten Freundinnen unterwegs zu sein, aber allein dass Nele und Renate fröhlich beschlossen hatten, wir würden uns an jedem Tag der Reise ähnlich kleiden, betonte in meinen Augen den Zwang dieser Reise. Mir schien, als erwarte man von mir, jegliche Intimsphäre abzulegen. Wer weiß, vielleicht gingen wir sogar wieder zu dritt aufs Klo … »weil wir es immer so gemacht haben«. Dieser Satz kam mir jetzt schon aus den Ohren.
    »Wo bleibt ihr denn?«, begrüßte uns Renate deutlich weniger ausgelassen als ihre Mutter, kaum dass wir aus dem Auto geklettert waren. »Ich hab mir schon ’ne super Route ausgedacht!« Eifrig schob sie die Sonnenbrille ins Haar, breitete die Karte auf der Motorhaube aus und zeigte uns die Strecke. »Also, wir fahren über Basel, Zürich, Luzern, über den Pass nach Mailand, dann nach Bologna und weiter bis ans Meer. Das ist der direkte Weg.«
    Bologna! Nele warf mir einen vielsagenden Blick zu. Die Kooperative, siehst du, ich hab recht. Weil ich diese Andeutungen nicht mag, ignorierte ich ihren Blick.
    Viel spannender als Bologna fand ich nämlich den Weg, der uns dorthin bringen sollte. Renate präsentierte ihn in einer Art und Weise, die keinen Widerspruch duldete. Ihre Finger flogen über die Karte, auf der Mailand von einem Kaffeefleck verdeckt wurde, der sich wie eine dunkle Wolke von der Lombardei über die Emilia-Romagna bis zur Toskana erstreckte.
    »Hol doch mal eine andere Karte«, schlug ich vor. »Man kann auf dem alten Ding ja gar nichts sehen.«
    »Es war gar nicht leicht für Anna, eine Straßenkarte von damals zu finden«, erwiderte Renate spitz, und ich begriff erst jetzt, dass der gammelige Fetzen zum großen Konzept der kleinen Reise zählte.
    »Sarah hat auch ganz schön lang gebraucht, um diesen Reiseführer aufzutreiben.« Nele hielt einen Baedeker von Norditalien hoch, der nicht mal mehr Flohmarktqualität hatte.
    »Ihr wollt nicht wirklich damit reisen?«, fragte ich. Auf der Straßenkarte galt womöglich noch das mittelalterliche Grafschaftssystem, und wir mussten Zollabgaben entrichten, wenn wir die Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg passierten. Außerdem wäre Renates Route auch 1982 nie der direkte Weg gewesen, da konnte sie noch so wichtigtun und die Reiseleiterin geben.
    »Das ist eindeutig nicht der direkte Weg«, protestierte ich also selbstbewusst und ritt mit dem Finger ebenfalls die Route nach. »Kannst du nicht die Biegungen sehen, die deine Route macht?«
    »Die Tour ist vielleicht nicht ganz direkt«, beschwichtigte Nele und zog ein kleines Rädchen aus der Hosentasche, mit dem man auf Landkarten die Straßen abrollen konnte, um dann auf einem vergilbten Blatt abzulesen, wie weit die geplante Strecke war. Sie rollte damit sofort los. »Wie mit einem Fingerfahrrad«, lachte sie dazu, und als das Rädchen in Bologna angekommen war, waren genau diese Ziffern aber nicht zu erkennen, da das Rädchen eben auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. »Egal«, zuckte sie gelassen mit den Achseln, »wir haben ja Zeit, oder? Ich freu mich schon so auf die Tage mit euch.«

    Mit dem gleichen jugendlichen Elan, den sie bereits im Auto bewiesen hatte, hakte sie sich zwischen Renate und mir ein, um gemeinsam mit uns eine Runde über den Hof zu hüpfen. »Unser Urlaub, der ist toll, zwei Wochen, ist das nicht wundervoll?«, sang sie zu der Melodie von Auf, du junger Wandersmann , brach dann aber sogleich ab, weil der Titel des Volksliedes für diese Reise nicht feministisch genug war, und rief, die Hände zum Himmel hochgeworfen, aus: »Und was wir alles erleben werden!«
    Disharmonien zu übergehen, Konflikte zu schlichten und Kompromisse zu finden waren Neles große Talente, und ihre Jahrzehnte als Erzieherin im Kindergarten hatten diesen Gaben den Ritterschlag verliehen. Ihre Intervention wirkte auch jetzt in Neles Sinne. Nur ein kleiner Teil von mir hoffte weiter, dass die Reifen des R4 bald platzen würden.
    »Wisst ihr«, sprach uns Nele noch immer pädagogisch an, »wir fahren jetzt mal los, und dann erzählen wir uns, wie wir alles finden, und schenken uns auch gerne mal Feedback und werden die gemeinsame Zeit als intensiven Austausch und Bereicherung genießen.«
    Fast hätte ich zu beten angefangen.
    »Hast du damals bei Gandhi einen Kurs belegt?«, stotterte auch Renate, verblüfft darüber, was gewaltfreie Kommunikation alles bewegen kann.
    »Nein, aber es ist so …«, wollte sich
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