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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4
Autoren: Christine Weiner
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Aufbruchstimmung ist heute nur noch mit den Pilgerungen auf dem Jakobsweg vergleichbar. Es gab Engagement, Aussprache, Reflexion, Dauerdiskussionen, und wenn man davon genug hatte, Spirit, Sprit und Sex. Ich konnte mich gut an den Aufruf erinnern, der im Bäuerlein hing, Landaus erstem Haus am Platz für Ökosocken.
    »Den Kram les ich nicht mehr«, erklärte ich bestimmt und setzte mich auf die Tasche mit meinen technischen Kostbarkeiten. Hatte nicht schon Konstantin Wecker dereinst geknödelt: »Sag nein! Mach dich stark und misch dich ein!«
    »Oder hier, das Körperbuch .« Renate schob mir ein abgegriffenes Buch hin, in dem man natürlich geduzt wurde und das dem Leser im Ton längst vergangener Tage half, den eigenen Körper besser zu verstehen. »Wenn du deinen Körper die Energie des Universums ungehindert aufnehmen lässt, dich ihr öffnest und nicht vor ihr verschließt, dich entspannst und nicht verkrampfst, positive statt negativer Gedanken im Kopf hast, dann wird diese Energie auch in deinem Körper fließen und dich gesund erhalten und gesund machen«, las Renate sich beömmelnd die besondere Kostprobe vor. Ich konnte mich noch gut an die Gespräche mit dem inneren Arzt erinnern, die durch das Buch zu lernen waren.
    »Immerhin«, Nele war beeindruckt, »lange bevor die psychosomatische Medizin so populär wurde.« Sie sah zu mir herüber. »Du musst dich drauf einlassen. Lass dich einfach ein!«
    Drauf einlassen, das war doch auch so ein Psycho-Bullshit-Bingo der vergangenen Zeit!
    »Ich hab auch noch was«, fiel ihr Renate wieder ins Wort und las ein Gedicht von Brigitte Heidebrecht und dann noch eins von Jörn Pfennig vor. »Was du an Liebe brauchst, kann ich allein nicht geben. Was ich an Liebe geben kann, ist für dich allein zu viel.« Auf den ersten Seiten ein Bild des Autors. Der hätte mir mit Mitte zwanzig gefährlich werden können. Er sah so frauenbewegt und sympathisch aus. Wir wollten solche Pfennigs, die Gedichte schrieben, nachdenklich waren, empathisch, politisch korrekt. Einen, der Sätze mit »Du« anfing und dessen Hand bei der Begrüßung auch gerne ein bisschen sozialpädagogisch unterspannt sein durfte, so man überhaupt so spießig war und sich per Handschlag begrüßte. Einer, der sich mit seiner Rolle als Mann auseinandersetzte. Einer, der ganz anders war als unsere Väter. Auch im Tod des Märchenprinzen war viel vom Kampf der Geschlechter zu lesen, von inneren Reflexionen und wie man damit anderen tüchtig auf die Nerven gehen kann. Ein quälendes Hin und Her war dieses Buch, das als feministische Pflichtlektüre galt, dennoch war ich auf Seite 140 steckengeblieben, weil mir die Orgasmusproblematik lästig geworden war. Wenn ich schon zu echten Büchern verdammt war, vielleicht schaffte ich es ja dann, den Märchenprinzen zu beenden.
    »Du warst es doch«, erinnerte sich Nele, »die uns damals die Bücher wie heiße Ware empfahl. Du hattest immer die besten Tipps.«
    Die Dorfuhr schlug viele Male, ich konnte nicht mitzählen, nahm die Klänge aber als ein Zeichen, mich erst einmal bezüglich der Abreise zu entkrampfen.
    »Na klar habe ich früher gerne gelesen, weil es ja nicht anders ging!« Aber heute ohne Internet leben? Warum? Ich liebte es, und es liebte mich, denn es präsentierte mir in Allgeschwindigkeit die Informationen, nach denen es mich verlangte.
    »Was hätte alles aus mir werden können, wenn es damals schon Internet gegeben hätte«, träumte ich laut.
    »Nicht viel anderes«, sagte Nele, vermutlich hatte sie in ihre Kristallkugel des Wissens geblickt. »Du hättest genau das gemacht, was du auch heute machst. Menschen gesammelt und Menschen bewegt, und du wärst mit uns befreundet, trotz Friendscout und wie diese Börsen alle heißen. Oh …«, sie sprang auf. »Jetzt hätten wir beinahe die Blumenampel für unser Zelt vergessen.« Tatsächlich, sie schleppte eine Blumenampel aus Sisal und mit Holzperlen an, aus der sich ein Efeu mit langen Ästen wie Krakenbeine kringelte.
    »Efeu bringt Streit«, erklärte ich trocken, weil mir zu der Blumenampel nun wirklich nichts mehr einfiel.
    »Aber nein, wir streiten uns doch nicht«, warf sich Renate flötend an meine Seite, um mich dann sehr überraschend gleich wieder im Militärton anzusprechen. »Also gib gefälligst die Tasche her!«
    Schon stürzte sich Nele auf mich und zerrte an der Tasche, während Renate mich festhielt. Frau Fröhlich knipste drauflos, um diesen unvergesslichen Moment echter
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