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Drei Frauen im R4

Drei Frauen im R4

Titel: Drei Frauen im R4
Autoren: Christine Weiner
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Renate mit fast zu ernstem Blick. »Bruce Springsteen! Born to run !«
    »Sagte ich euch schon, dass ich eine private Kinderkrippe eröffnen werde?«, grinste Nele mitten in das erste Lied hinein.
    »Wenn ich mich schon mägden muss«, schrie sie vergnügt, »dann mägde ich mich selbst.«
    »Mägden?«
    »Na, knechten auf Weiblich«, riefen Nele und Renate fast gleichzeitig, und Renate drückte so aufs Gas, dass Fuchur beinahe in den Himmel abhob.
    »Mit mir hast du schon mal eine super Aushilfskraft«, rief ich Nele gegen den Musikwind zu. Kurz stellte ich mir vor, wie es sein würde, wenn auf einmal echte Kinder um mich herumspringen würden und nicht mehr dieser Kindergarten im Büro. Mit Kindern konnte man super Theater spielen, wie damals das berühmte Grips-Theater. Vielleicht konnten Nele und ich etwas Ähnliches gemeinsam aufbauen, denn zu zweit geht es sich immer besser als allein.
    »Und du?«, wir schauten zu Renate.
    »Ich verdau jetzt schon mal, was mich hinter dem nächsten Hügel wohl erwartet.« Sie drehte Bruce leiser und ließ sich von mir Indian Summer von Friedemann reichen. Heitere Sommermusik, aber die Spanne, die zwischen Springsteen und dem eher leisen Spiel lag, ließ viel Raum für Interpretationen. Ich konnte förmlich spüren, wie die Erinnerung und der Schutz vor falscher Erwartung meine Freundin Renate innerlich zerrissen.
    »Komm runter, Baby«, hätte ich sehr gerne gesagt, aber in Minuten wie diesen bewirken coole Empfehlungen nicht viel.
    »Diesen kleinen Weg hier, den sind wir schon damals von der Straße aus gelaufen«, erklärte uns Renate melancholisch und zeigte mit ausgestrecktem Arm verschiedene Wege nach, die sich für mich allesamt nicht auseinanderhalten ließen.
    »Ah ja«, antwortete ich ihr trotzdem brav, und Nele staunte »O wie schön!«, obwohl sie sicherlich, genauso wie ich, vor lauter Bäumen den Wald nicht sah.
    »Da, da vorne, das ist die Wiese, auf der es jeden Sonntag Konzerte gab.«
    Hinter Renates Rücken zog Nele kurz das Unterlid eines Auges runter. Hörst du, hieß das, Musik, Festival, Liebe, Kooperative, ich hab es doch gesagt.
    Wir konnten Renate förmlich vor uns sehen, barfuß, im langen roten Rock, einem weißen Opahemd darüber und mit den bunten Bändern, die sie sich damals so gerne ins Haar geflochten hatte. Sie musste Germanys next Topmodel für die italienischen Jungs gewesen sein.
    »Die große Straße liegt auf der anderen Seite und führt auch zur Kooperative hin. Aber hier haben wir uns immer absetzen lassen, weil dieser Weg für Autos zwar nicht befahrbar ist, aber schneller zu den verlassenen Häusern führt.«
    »Das schaffen wir«, sagte ich, denn ich wusste, für unseren weitgereisten Fuchur war auch diese Schotterstraße nur ein Kinderspiel. Gut erholt, wie er jetzt war, würde er uns auf zwei Rädern zu den Hütten transportieren.
    »Hier«, zeigte Renate aufgeregt, »standen früher Orangenbäume. Einmal habe ich mir dort heimlich Früchte geklaut, und als ich sie schälte und reinbiss, warf es mich fast nach hinten, weil die Orangen zwar superlecker aussahen, aber leider Bitterfrüchte waren. Aus denen haben wir dann Marmelade gekocht. Kann ich uns auch mal machen. Wenn wir wieder daheim sind.«
    Wenn wir wieder daheim sind. Das klang merkwürdig in meinen Ohren, denn wo war mein Zuhause, wenn nicht mit diesen Frauen und in diesem R4?
    Die Straße schlängelte sich durch ein kleines Wäldchen den Hügel hoch. Ein Schild kam zur Rechten, auf dem ein Hotel abgebildet war. Ich ahnte Schreckliches und zählte die Kilometer aufgeregt herunter. Nur noch wenige Minuten waren es wohl bis zu jenem geheimnisvollen Ort, und nicht nur Renate, wir alle waren aufgeregt. So aufgeregt, wie man auf Klassentreffen ist, wenn man weiß, man wird einen Typen wiedersehen, in den man als Jugendliche verliebt war, und nun hat er vielleicht eine Glatze oder einen dicken Bauch. Und aufgeregt, wie man ist, weiß man, dass auch eine Glatze und ein dicker Bauch nicht vor aufgewärmter Liebe schützen, weil es Gefühle gibt, die nie vergehen und nur darauf warten, wieder wachgerufen zu werden.
    Sollte auch Renate solche Gedanken in sich wälzen, so weihte sie uns nicht ein. Stoisch blieb sie dabei, diesen kurzen Ausflug spannend zu finden, und sollte die Kooperative tatsächlich noch bestehen, würde sie die Menschen und den Ort betrachten, als wären wir in einem Zoo oder in einem Museum. Eine Art Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett mit schön drapierten
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