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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition)
Autoren: Helmut Vorndran
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sich an den Flüssen so viel Gesindel menschlicher oder auch tierischer Herkunft herumtrieb, dann musste man eben über seinen gefiederten Schatten springen und etwas Revolutionäres wagen. Das hieß, man musste dorthin auswandern, wo diese Ignoranten einen Flussregenpfeiffer als Letztes brütend vermuten würden, nämlich tief in einen Wald.
    Am allerbesten wäre es natürlich, sie würde sich tief zwischen Bäume oben auf einem Berg verziehen, an den am weitestentfernten Punkt von einem Fluss.
    Nachdem sie sich mit dem für einen Regenpfeiffer recht ambitionierten geplanten Vorhaben zügig angefreundet hatte, war schnell ein ideales Plätzchen gefunden. Hoch über dem Main, auf einer kleinen Waldlichtung und ungestört von jeglicher Unbill, wollte sie als erstes Flussregenpfeifferweibchen der Welt in einem Wald Nachkommen in die Welt setzen. So weit der Plan.
    Doch schon bald fingen die Probleme an. Zwar war sie ungestört, aber auch dementsprechend weit entfernt von ihrer angestammten Nahrungsquelle, dem Main. Ihre Mahlzeiten musste sie sich ab sofort mit Langstreckenflügen hinunter nach Wiesen oder Nedensdorf verdienen, was in ziemlichen Stress ausartete. Noch mehr Stress allerdings bereitete das Unterfangen, ein Regenpfeiffermännchen zu finden, das mit ihr zusammen die diesjährige Familie gründen wollte. Sobald sie nämlich von ihrer Idee erzählte, bekam sie von den Männchen nur noch Ausflüchte zu hören. Im Wald sei es ihnen zu dunkel, zu kalt oder zu grün. Sehr bald schon merkte sie, dass den Kerlen ihr neues Zuhause einfach zu weit entfernt vom Fluss war. Die Heinis waren schlichtweg zu faul. Wozu auf einen Berg fliegen, dachten die sich wahrscheinlich, wenn man die Mädels auch direkt am Strand abgreifen konnte. Ernüchtert stellte sie fest, dass ihr Plan so nicht funktionieren würde.
    Also gab sie sich in einer lauen Frühlingsnacht einem leidlich hübschen, aber angetrunkenen Regenpfeiffermännchen aus der Nähe von Fürth hin, welches von der Regnitz eingewandert war. Fortpflanzungstechnisch war das zwar nun wirklich nicht erste Wahl, aber manchmal musste man Kompromisse machen und das nehmen, was andere übrig gelassen hatten. Allerdings sah der Versuch auch nur so lange erfolgreich aus, wie das Männchen dem Alkohol zugesprochen hatte. Als der mittelfränkische Pfeiffer wieder nüchtern war, fand er sie schon nicht mehr ganz so toll, und nur einen Tag später ließ er nichts mehr von sich hören. Genervt nahm sie davon Abstand, nach ihm zu suchen. Die blöden Ausreden, die er auf Lager hatte, konnte sie sich sowieso schon denken.
    »Tut mir leid, ich hatte kein Guthaben mehr auf meinem Handy«, oder: »Ich will dich nicht mit meiner unheilbaren Krankheit anstecken«, oder: »Als ich nüchtern war und dich sah, hab ich spontan ein Keuschheitsgelübde abgelegt«. Na herzlichen Dank auch.
    Diesen Schwachsinn musste sie sich ganz sicher nicht antun. Auch egal, dachte sie, selbst ist die Frau. Schließlich war sie es schon gewohnt, ihre Kinder autonom großzuziehen. Also flog sie zu ihrem Nest zurück und ließ die Früchte ihrer Arbeit in sich reifen.
    Eines Tages fühlte sie den Zeitpunkt nahen. Sie konnte endlich dazu übergehen, die Eier zu legen. Sie spürte, wie das erste Ei Richtung Ausgang wanderte, und ließ noch einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren, was sie in der Schwangerschaftsberatung gelernt hatte.
    Pressen, dachte sie. Du musst pressen … Dann drang plötzlich der Lärm von menschlichen Baumaschinen an ihr empfindliches Ohr, und sie drehte sich erschrocken um.
    Der Bagger hatte sich bereits durch die oberste Schicht des Erdreiches gefressen, damit aber bestenfalls einen Bruchteil dessen abgearbeitet, was noch auszuheben war. Eigentlich hatte er nur ein wenig von der Bodendecke, etwas mehr als die Grasnarbe, abgeschabt, aber für den leitenden Ingenieur Hubert Fiederling war der Umriss des zukünftigen Fundamentes bereits zu erkennen. Der Caterpillar mit seiner extragroßen Schaufel konnte jetzt in die Tiefe graben.
    Es hatte lange genug gedauert, die Genehmigung für das Projekt zu bekommen. Vor wenigen Jahren noch wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, über ein zweihundertfünfzig Meter hohes Windrad auf den Eierbergen auch nur nachzudenken. Doch der politische Wind hatte sich sozusagen in Richtung Windräder gedreht und blies jetzt überaus heftig. Als auch noch die Diskussion um die fränkische Eigenständigkeit aufgekommen war, hatten ganz plötzlich alle Ampeln
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