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Drei Eichen (German Edition)

Drei Eichen (German Edition)

Titel: Drei Eichen (German Edition)
Autoren: Helmut Vorndran
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gleich hatte Lohneis Feierabend. Die Sonne ging bald unter, und er musste nur noch ein letztes Mal die Anlage überprüfen. Danach konnte er heim in sein kleines Reundorfer Fachwerkhäuschen gehen, das er mit Frau und seinem Berner Sennenhund bewohnte. Er warf einen letzten Blick hinauf auf den Banzberg, wo das gleichnamige Kloster bald wie jeden Abend den Nachthimmel erleuchten würde, und auf die massiven Schützentore des Hausener Wehres. Der Main hatte für die Jahreszeit einen niedrigen, aber gleichmäßigen Wasserstand, und auf Kloster Banz war wie so häufig die CSU am Konferieren. Im Obermaintal war also alles, wie es sein sollte. Jetzt musste Lohneis nur noch kurz die Anzeigen im Inneren des Schleusenhauses kontrollieren, für einen Moment dem beruhigenden Summen der Generatoren lauschen, abschließen und den Heimweg mit seinem Hund antreten, dann war seine Arbeitswoche zu Ende.
    Der gestandene Franke mit ebensolchem Stammbaum ging zurück ins Schleusenhaus. Kurz, knapp, aber präzise streifte sein Blick die Instrumentenanzeige. Er stutzte. Etwas irritierte ihn. Irgendetwas war falsch. Der Ton stimmte nicht. Aus der Geräuschkulisse seiner Wehranlage war ein kleiner, doch signifikanter Missklang herauszuhören. Pro Jahr führte der Wehrbeauftragte bestimmt mehrere hundert Besucher durch die Betriebsräume der Wehranlage, darunter Ingenieure, Architekten, Professoren und – natürlich – viele Thüringer, aber keiner der Besucher, und zwar egal welcher Spezies, hätte in diesem Moment eine akustische Veränderung bemerkt. Es war einfach zu laut. Aber nicht etwa laut im Sinne von Air-Force-One- oder Presslufthammerlärm. Nein, es war das intensive Summen und Brummen der riesigen Generatoren, Wasserturbinen und sonstigen Aggregate, das sich mit dem alternierenden Klackediklack von Ketten und Hebewerken der stählernen Schützen mischte. Trotzdem hatte jeder Ton, jedes Geräusch, jeder noch so kleine akustische Effekt seinen Platz und seinen Moment. Doch die seit Jahren ehern bestehende Ordnung hatte nun einen Fehler bekommen. Beinahe unmerklich und dennoch im sensiblen Mittelohr von Fritz Lohneis durchaus deutlich fand hier gerade eine Rebellion statt. Den Kopf wie eine Radaranlage schwenkend bewegte er sich langsam so lange in die Tiefen seiner Maschinerie hinab, bis sich in seinem Ortungssystem ein feines, schleifendes Geräusch herauskristallisierte. Aus der Kakophonie von Turbinengeräuschen versuchte Lohneis nun zielgerichtet den Ursprung der akustischen Anomalie auszumachen.
    Und dann sah er es. Die Antriebseinheit des rechten Schützentores. Ganz langsam, fast unheimlich bewegte sie sich. Aber das war doch unmöglich! Die Schützensteuerung konnte nur er allein über die Hebel und Knöpfe oben im Haus bedienen. Konnte es sein, dass ein dreifach gesichertes System von alleine loslief?
    Über sich hörte er neues Ungemach. Der Hund schlug an. Was zum Teufel war da los? Lohneis hastete die Leitern wieder nach oben und sprang mit einem großen Schritt nach draußen. Links war der Steg über den Main in den Schatten des Banzberges getaucht. Obwohl keine Menschenseele zu sehen war, zerrte Murat, der Berner Sennenhund, wütend an seiner Kette und bellte, als würde er eine Herde Gemsen verfolgen wollen.
    Dann hörte Lohneis das Rauschen. Die Schützen des rechten Wehrtores hatten in ihrer Abwärtsbewegung die Wasserlinie des Überlaufs erreicht und senkten sich noch weiter ab. Der Main begann sich in sein Bett zu ergießen, und die Wassermassen verwirbelten sich dampfend am unteren Ende des betonierten Auslaufs.
    Mit wenigen Schritten stand Lohneis wieder vor seinen Anzeigen. Die Schützen fuhren unaufhaltsam nach unten. War es ein technischer Defekt, oder lag eine ernst zu nehmende Fehlschaltung in den Tiefen der elektronischen Bauteile vor? Er überlegte nur kurz, dann zertrümmerte er entschlossen den ferrariroten Schutzdeckel des Notschalters und legte den schmiedeeisernen Nothebel mit der großen, fetten Aufschrift » NOTAUS « um. Zum ersten Mal in seinem Leben.
    Doch nichts passierte. Die Ketten ächzten zwar hörbar unter dem gewaltigen Wasserdruck, doch sie verrichteten unverdrossen und konsequent ihre ihnen zugedachte Arbeit weiter. Das Rauschen mutierte langsam in ein tosendes Brüllen. Fritz Lohneis war verzweifelt. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Siebenundzwanzig Jahre lang passierte hier überhaupt nichts, kein Blitzschlag, kein Kamikazeflieger, nicht mal ein Tourist, der die Treppe
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