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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft
Autoren: Redline Wirtschaft
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Hotel !«
»… und warum klingelt ihr bei mir ?«
»… das ist hier oben zu etepetete für euch .«
    Schon vor dem Fitnessclub hat uns ein pubertierendes Mädchen erklärt: »Hier ist’s halt scheiße für solche wie euch, hier ist Königstein.« So klingt die Königsteiner Logik: Wieso versprechen sich Arme ausgerechnet von Reichen Hilfe?
    An den Hängen des Taunus bestätigt sich eine Studie des amerikanischen Psychologen Dacher Keltner. Keltner ist Professor an der University of California und hat kürzlich behauptet, vermögende Menschen seien weniger mitfühlend als ärmere. Bevor er mit seinen eigenen Untersuchungen begann, hatte er Material gesichtet: In einer Umfrage amerikanischer Wohlfahrtsverbände gaben Haushalte mit einem Jahreseinkommen von weniger als 25.000 Dollar an, 4,2 Prozent ihrer Einnahmen zu spenden. Haushalte mit mehr als 100.000 Dollar gaben nur 2,7 Prozent weiter. Wohltätigkeitsforscher aus San Francisco werteten Steuererklärungen von unter 35-Jährigen aus und fanden heraus: Jene mit einem Jahreseinkommen von weniger als 200.000 Dollar spendeten 1,9 Prozent – wer mehr verdiente, nur noch 0,5 Prozent.
    Anfangs dachte Keltner, ärmere Menschen seien womöglich religiöser oder politisch eher links. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass Arme einfach öfter die Erfahrung machten, dass man »sich gegenseitig helfen« müsse: »Es gibt immer einen, der dich irgendwohin mitnimmt oder auf dein Kind aufpasst.« Genau das befähige sie, die Nöte anderer überhaupt wahrzunehmen. In Keltners Studien erkannten jene Testpersonen, die nur einen Highschool-Abschluss hatten, die Gefühle anderer besser als Höhergebildete und Besserverdienende. Wenn Keltner zwei Probanden zum Kennenlernen zusammenbrachte, konnte er sogar beobachten, wie die aus besseren Verhältnissen eher mit irgendetwas herumspielten, nebenbei kritzelten oder ihre Handys nach Nachrichten durchsuchten. »Dass die Reichen etwas zurückgeben, ist psychologisch unwahrscheinlich«, sagt Keltner. »Was Reichtum und Bildung und Prestige und eine gute Position im Leben einem geben, ist die Freiheit, sich auf sich selbst zu konzentrieren.«
    Im Kommunikations- und Trainingscenter der Commerzbank verkündet eine Troika von Bediensteten, es sei kein Platz für uns in ihrer Herberge: »Wir sind nämlich eine Tagungsstätte.«
    »Ach so, Sie machen nachts zu ?«
    »Nein, aber …« Außerdem hätten sie den katholischen Pfarrer angerufen. Da seien wir willkommen.
    Das Hotelshuttle zurück in den Ort bleibt den Nachwuchskräften der Bank vorbehalten, trotz Violas vermeintlicher Schwangerschaft. Wieder steigen wir einen Berg hinab wie eine soziale Leiter. Es dauert eine Stunde, bis wir den Pfarrer gefunden haben. Der sagt, mit ihm habe niemand telefoniert. Dennoch lässt er den Küster das Gemeindehaus aufschließen, wo auch der Kindergarten untergebracht ist. Auf einem Spielstraßenteppich rollen wir unsere Isomatten aus. Bis spät in den Abend lauschen wir, bewacht von zwei Schaukelpferden, dem Kirchenchor bei seinen Proben für die Weihnachtsmesse.
    Am Wochenende verwandelt sich die Stadt: Manager werden Väter, Anzugsgrau weicht signalroten Outdoorjacken. Auf dem Weihnachtsmarkt herrscht heitere Bilderbuchatmosphäre wie auf Ali Mitgutschs Wimmelbildern. Auffallend artige Kinder und entspannte Eltern – wohlerzogener Familienfrieden. Wo wir auftauchen, bildet die Menge eine Schneise aus Erschrecken und Ekel. Wir gehen zum Glühweinstand des Lions Club, laut Selbstauskunft »eine weltweite Vereinigung freier Menschen, die in freundschaftlicher Verbundenheit bereit sind, sich den gesellschaftlichen Problemen unserer Zeit zu stellen«. Hinter dem Tresen frösteln zwei Herren. Auf unseren Standardsatz »Wir sind obdachlos, kennen Sie eine Bleibe für uns?« reagiert der eine mit: »Draußen?« Und der andere mit: »Nein!« Eilig klappen sie ihre Metallkasse zu.
    An diesem Tag ist das Wappen des Clubs größer als seine Güte. Wahrscheinlich muss ein Zeitungsfotograf zugegen sein, damit diese Relation sich umkehrt.
    Wir setzen das Wechselspiel zwischen dem Ort und uns im Reichenbachweg fort, Königsteins teuerster Lage: eine friedhofsstille Sackgasse, in der sich säulengeschmückte Villen hinter Thujahecken verbergen. Regen verschleiert den Blick hinunter nach Frankfurt. Wir kauern unter einer Tanne, unserem Rettungsschirm aus Nadeln.
    Das ist jetzt aber mal ein klares Signal an die Märkte. Sollten all die »Bankster «-Beschimpfungen und
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